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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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Knopfdruck die Scheibe.
    »Elvira!«
    Da lacht die stattliche Dame mit Hut.
    »Ich war in der Kirche. Auf der Empore. Ich kenne den Professor. Es war sehr festlich und Stephanie reizend. Ruf mich mal an. Du weißt, Kaffee steht immer bereit.«
    Frau Pfeffges, die neue Verwandte, genoß alles. Vom Föhn bis zum Wagenpolster. Und alles wollte sie wissen.
    »Wer war jetzt die Dame?«
    »Bitte, wie meinen Sie? Ach so ja, eine Freundin. Freundin der Familie.«
    Scherzhaftes Drohen mit dem Puttenhändchen.
    »Isch dacht schon, du kennst se intim! Mir habe da was läute höre, daß du abends net heim findst un so. Da dacht isch erst, die isses.« Sie lachte über ihren ernstgemeinten Scherz. »So hinner die Fuffzich, da is der Frühling oft net weit!« Und sie lachte noch einmal.
    Der Brautvater verbreitet Kühle. Schweigt. Fühlt Puls.
    Muß ich mir das sagen lassen — wie komm ich dazu — was geht diese Leute mein Privatleben an — liegt an mir würde der Doktor sagen — meine Gutmütigkeit — und Hilde — hab sie ausdrücklich gebeten nicht zu kommen — kann sie ja verstehen — zweiundachtzig Puls — das geht — Silvester wieder doppelt feiern — kein Privatleben kein Privatleben
    Auch sein ursprünglicher Plan, die Hochzeit nach Gala in der Kirche mit einem möglichst kleinen Essen abzuschließen, war an seinem Privatleben gescheitert. Stephanie hatte auf einem großen Empfang bestanden.
    »Unsere Freunde und Bekannten müssen sehen, daß wir eine ordentliche Familie sind«, hatte sie gesagt. »Offenbar ist dir noch nicht klar, wie bereits geredet wird. Alle sollen sehen, wie glücklich ihr seid. Mami und du. Das bist du deiner Tochter schuldig!«
    Sie stehen am Eingang des Saals und schütteln Hände, das Hochzeitspaar, die Eltern der Braut, die Schwiegerleute. Hilde hat am Vormittag den Tisch mit den Geschenken aufgebaut, eine stattliche Tafel, und auf jedem Präsent eine Karte mit dem Namen des Spenders. Die Wunschlisten hatten sich glänzend bewährt. Statt zwölfmal Salz- und Pfefferstreuer in Silber, neun Mokkaservices, fünf Tischfeuerzeugen, häuft sich Brauchbares jeweils einmal. Während seine Frau den Schwiegerleuten über Unsicherheiten hinweghilft, wobei Detlef sie taktvoll unterstützt, nimmt der Brautvater strahlend ganze Breitseiten von Freundlichkeiten entgegen: Nein, daß er wieder da sei! Habe sich sehr rar gemacht in letzter Zeit. Man habe schon geglaubt, es sei etwas Ernstes, Herzinfarkt oder so. Böse Zungen hätten sogar behauptet... Aber glücklicherweise sei alles in Ordnung... das sehe man ja... und man müsse jetzt ganz bald...
    Schröder ist alt geworden. Er sieht schlecht aus, deutet unter vier Augen an, daß er sich Sorgen macht um seine Gesundheit und erhält freundschaftlichen Rat:
    »Alles psychisch sage ich dir, alles psychisch. Unsere Berufskrankheit. Zu früh mit Verantwortung beladen, Anima nicht ausgelebt, geh zum Therapeuten sag ich dir, nicht zum Internisten.«
    Zwischen Händedrücken der Druck von Stephanies Hand. »Siehst du, es fällt dir gar nicht so schwer. Du bist gerne gütig. Aber du brauchst Publikum. Ich kenn dich doch!«
    Nach der Gratulationscour schickt sie ihre Eltern als glückliches Paar auf die Runde.
    »Detlef gefällt mir gut. Er ist richtig für Stephanie. Wenn man bedenkt, was die beiden noch vor sich haben!« sagt seine Frau.
    Er nickt vor sich hin.
    »Ich möchte nicht noch einmal jung sein müssen.«
    Sie sieht ihn groß an. Man spricht im Vorübergehen zu Freunden, Bekannten. Man scherzt, man lacht. Glücklicherweise fällt ihm ein, was er sie fragen wollte.
    »Sag mal, hast du jetzt ein Haus gefunden?«
    Sie nickt, spricht mit Gästen.
    »Südtirol?«
    Sie nickt, spricht mit Gästen.
    »Fährst du wieder hin?«
    »So bald wie möglich.«
    Man scherzt, man lacht, er beobachtet: wie liebenswürdig sie ist, wie gelöst.
    »Du machst es richtig!« sagt er im Weitergehen.
    »Was?«
    »Du bist reizend zu allen, die dich nicht interessieren, und beschäftigst dich mit Dingen, die dir Freude machen.«
    »Pure Selbsterhaltung!« betont sie.
    Er nicht vor sich hin.
    »Ich sollte ein Hobby haben.«
    »Aber du hast doch eines.«
    »Was?«
    Sie bleibt stehen.
    »Dich!«

    In Millionen Wohnungen heizen die Bildröhren der Fernsehempfänger Silvesterstimmung an. In West und Ost quälen Schlageranthropoiden und Fachkräfte für leichte Unterhaltung das alte Jahr langsam zu Tode. Die Füße in den neuen norwegischen Hüttenschuhen, den Wein auf blauer Platte
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