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Ich hab dich im Gefühl

Ich hab dich im Gefühl

Titel: Ich hab dich im Gefühl
Autoren: Cecelia Ahern
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Garten hinaus. »Siehst du den Weg da draußen?«
    »Den Gartenweg?«
    Er schüttelt den Kopf und deutet auf einen Trampelpfad in der Wiese, wo das Gras niedergetreten ist, so dass man darunter die Erde sieht. »Den Weg hast du gemacht.«
    »Was?« Jetzt bin ich endgültig verwirrt.
    »Als kleines Mädchen«, ergänzt er. »In der Gartensprache nennt man so etwas eine ›Wunschlinie‹. Das sind Pfade und Wege, die Leute ganz allein für sich selbst machen. Du hast schon immer die Wege vermieden, die andere gemacht haben, Liebes. Du bist deinem eigenen Weg gefolgt, selbst wenn du am Ende zum gleichen Ziel gekommen bist wie alle anderen. Vorgeschriebene Routen waren dir seit jeher suspekt«, meint er und lacht in sich hinein. »Ja, du bist eben die Tochter deiner Mutter, du gehst Abkürzungen und erschaffst spontan neue Wege, während ich auf den großen, viel benutzten Straßen bleibe und Umwege in Kauf nehme.« Wehmütig lächelnd gibt er sich seinen Erinnerungen hin.
    Nachdenklich studieren wir beide den Trampelpfad, der die Wiese durchquert und schließlich zum Weg zurückführt.
    »Wunschlinien«, wiederhole ich gedankenverloren und sehe mich als kleines Mädchen, als Teenager, als erwachsene Frau, wie ich jedes Mal diesem Trampelpfad folge und ihn weiter austrete. »Vermutlich sind Wünsche einfach nicht geradlinig. Es gibt keinen direkten Weg, auf dem man das bekommt, was man sich wünscht.«
    »Weißt du jetzt, was du tun musst?«, fragt er, als das Taxi vor der Tür hält.
    Ich lächle und küsse ihn auf die Stirn. »Ja.«

Neununddreißig
    Am Stephen’s Green steige ich aus und sehe sofort die Menge, die zum Gaiety Theatre strömt, alle im besten Sonntagsstaat für die heutige Vorstellung der National Irish Opera. Bisher habe ich nur mal eine Oper im Fernsehen gesehen, und mein Herz, das es satt hat, dass mein Körper nicht mit ihm Schritt halten kann, trommelt gegen meine Rippen, weil es am liebsten allein zum Theater laufen würde. Ich bin unendlich nervös und gespannt – und hoffnungsvoll wie noch nie im Leben, denn ich nähere mich unaufhaltsam der letzten Phase meines Plans. Natürlich habe ich schreckliche Angst, dass Justin sich ärgern wird, wenn er entdeckt, dass ich die geheimnisvolle Kartenschreiberin bin. Andererseits – warum sollte er? Hunderttausendmal habe ich mir diese beiden Alternativen durch den Kopf gehen lassen, aber so oft ich sie auch gegeneinander abwäge, ich kann trotzdem keinen vernünftigen Schluss daraus ziehen.
    Jetzt stehe ich auf halbem Weg zwischen dem Shelbourne Hotel und dem Gaiety Theatre, die nur rund dreihundert Meter voneinander entfernt sind. Zögernd blicke ich vom einen Gebäude zum andern, schließe die Augen und versuche nicht daran zu denken, wie dämlich ich aussehe, wenn ich hier mitten auf der Straße stehen bleibe, während die Menschen an mir vorüberziehen. Ich warte, wohin es mich zieht. Nach rechts zum Shelbourne? Oder nach links zum Gaiety Theatre? Mein Herz pocht laut in meiner Brust.
    Dann wende ich mich nach links und schreite zuversichtlich zum Theater. Im Eingangsfoyer herrscht geschäftiges Treiben, ich kaufe mir ein Programm und mache mich auf den Weg zu meinem Platz in der ersten Reihe. Keine Zeit, vor Beginn der Vorstellung noch etwas zu trinken, denn ich würde es mir nie verzeihen, wenn Justin zeitig kommt und mich nicht hier vorfindet. Tickets für die erste Reihe – ich konnte mein Glück kaum fassen, dass ich genau im richtigen Moment angerufen habe, um uns diese kostbaren Plätze zu sichern.
    Langsam lasse ich mich auf meinen roten Samtsessel sinken, mein rotes Kleid fällt weich über meine Beine, meine Handtasche liegt auf meinem Schoß, und Kates Schuhe glänzen auf dem Boden vor mir. Direkt vor mir ist der Orchestergraben, es wird noch gestimmt und geprobt, alle Musiker ganz in Schwarz in ihrer Unterwelt wundervoller Klänge.
    Eine magische Atmosphäre, hier unten ebenso wie oben auf den Rängen. Tausende Menschen, alle aufgeregt und in freudiger Anspannung, die Musiker wild entschlossen, eine perfekte Leistung zu erbringen, alles ist in Bewegung, auch in den Waben der Balkone, die Luft vom Duft der Parfüms und Aftershaves geschwängert, süß wie Honig.
    Ich sehe nach rechts zu dem leeren Stuhl neben mir und fröstle vor Aufregung.
    Dann kommt die Ankündigung, dass die Vorstellung in fünf Minuten beginnt und Zuspätkommer erst wieder in der Pause eingelassen werden, aber alles auf den Bildschirmen im Gang mitverfolgen
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