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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge
Autoren: Ernst Weiß
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wir auf, immer nur von ernsten Dingen zu reden.
     
    Ich hatte angenommen, von Kaiser würde im Laufe des Jahres 1934 kommen. Als er nicht kam und nichts von sich hören ließ, schmerzte es mich, denn er fehlte mir – und auf der anderen Seite (wie ich auch heute noch immer beiden Seiten einer Sache gerecht zu werden versuche) dachte ich mir, würde es wohl mit der Gesundheit des alten Herrn recht gut stehen, denn er hatte sich ja vorgenommen, mich erst dann aufzusuchen, wenn er seinen Tod nahe fühlte.
    Meine Kinder besuchten jetzt gute, halb deutsch, halb französisch geführte Schulen. Man holte sie in Autos, welche in der Stadt die Kinder einsammelten, morgens ab und brachte sie uns abends zurück. Ich fragte nicht mehr, woher die Geldmittel kamen. Ab und zu hatte ich einen kleinen Nebenverdienst, ich machte Übersetzungen, langsam, aber genau, Wort für Wort, mit möglichst großer Exaktheit und Gewissenhaftigkeit.
    Meine Kinder tobten während meiner Arbeit im Zimmer umher, bewarfen einander mit den dicken Lexika, und ich wunderte mich, daß sich die Nachbarn nie beschwerten. Aber man mochte sie hier im Hotel sehr gern in ihrem Übermut, jeder steckte ihnen etwas Gutes zu, ein Bonbon, eine Karte fürs Kino oder für den Zirkus, oder lachte sie freundlich an. Mir begegnete man ernst, kalt.
    Solange ich da war, schwiegen die Kinder ebenso wie Viktoria über Deutschland. Ob sie von ihrer Heimat sprachen, wenn ich abwesend war, wer mochte das wissen? Anfangs hatten die Kinder vor allem zu mir gehalten, das war aber noch Angelikas Werk, die ihnen die Liebe zu mir als einem hundertprozentigem Arier eingeprägt hatte. Bald aber änderte sich dies auch, und sie schlossen sich der Mutter an. Ich war ihnen auch zu gemessen, zu beherrscht. Ich schlug sie nie und liebkoste sie kaum. Eines Tages kamen sie alle drei, und Lise erklärte, sie habe sich zu etwas entschlossen, das gleiche erklärte Bobby ebenso wie Viktoria. Ich sah von meiner Arbeit auf, ahnungslos. Nun lachten sie alle aus einer Kehle, und ich erfuhr ihr Geheimnis. Meine Frau hatte ein Angebot erhalten (durch Helmut, der vornehme französische Bekannte hatte), in einer großen schloßartigen Villa bei Versailles den Haushalt zu führen gegen 350 Franc monatlich, freien Aufenthalt für sie und für die Kinder. Welch ein Glück! Eine amtliche Arbeitserlaubnis war nicht nötig.
    Meine Tochter konnte hier den Haushalt lernen. Sie hatte für später andere Pläne. Sie hatte von ihrer Mutter das herrliche blonde Haar geerbt. Meine Frau, die sich mit dem schön gewachsenen Kinde schmücken wollte, hatte Lise vor kurzem zu einem sehr guten Salon geführt und ihr eine Frisur machen lassen, wie sie die feinen französischen Mädchen im Backfischalter trugen. Tags darauf durfte ich die Herrlichkeit bestaunen. Aber Eindruck hat sie nicht auf mich gemacht. Zu lange schon lebte ich in einer anderen Welt als die drei Menschen. Lise hatte Geschmack an der Friseurkunst gefunden. Ihr Herzenswunsch war, sie zu erlernen. Sie war noch zu jung, um schon jetzt in die Lehre zu gehen, aber es dauerte nicht lange, da sah ich, wie sie an anderen Kindern im Hotel, auf einer höheren Treppenstufe sitzend als diese, das Köpfchen ihres Opfers zwischen die Knie geklemmt, mit Viktorias Kamm und Bürste ihre Künste ausprobierte und wie sie den geduldigen Kindern geschickt ›Wellen drehte‹, die sie mit Wasser aus einem Töpfchen befeuchtete. Man hatte mich nicht gefragt. Meine Stimme zählte kaum, und das mit Recht. Womit hätte ich es ihr denn auch verbieten können?
    Anders war es bei Bobby. Er war auf den Gedanken gekommen – Kellner zu werden, entweder Cafékellner oder besser Hotelkellner. Er mußte einmal in einem großen vornehmen Hotel eine Schar eleganter Kellner in tadellosem Frack, blendend starrer Hemdbrust, gepflegten Händen gesehen haben, aber ich erfuhr nicht, wo – vielleicht bei Helmut, der jetzt sehr vornehm wohnte und mich noch nie zu sich eingeladen hatte. Aber diese Berufswahl war mir von Herzen zuwider. Und meine Frau sollte leichten Herzens ihre Einwilligung dazu gegeben haben? Ich konnte es nicht glauben. Unser Sohn – Kellner? Ich versuchte noch einmal eine Aussprache. Aber als ich eines Abends meine Frau erneut veranlassen wollte, in ein Café zu gehen, wollte sie das schöne warme Bett nicht verlassen und hielt mir, wie einst ihr seliger Vater, den Finger auf die Lippen, um mich zum Schweigen zu zwingen. »Die Kinder sind modern, sie wissen, was sie tun.
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