Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge
Autoren: Ernst Weiß
Vom Netzwerk:
geschwankt. Auch er schwankte nicht. Er ging nach Rom und sein Sohn nach Burgos.
    Am nächsten Tage hatte ich zwei Entscheidungen zu treffen. Die erste betraf meinen Entschluß, in der regierungstreuen Armee in Spanien Dienst zu nehmen. Ich war nicht der einzige, der sich meldete. Es gab also auch heute noch viele, die dachten, die Seite der Schwächeren könne die bessere Sache vertreten. Man musterte mich im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin ein hochgewachsener, muskulöser Mensch, meine grauen Haare ließen mich aber älter erscheinen, als ich war. Man nahm meine Meldung an. Ich war alter Frontsoldat, ich war alter Militärarzt, ich hatte Auszeichnungen des alten Deutschen Reiches. Aber was sollte ich sein? In welcher Eigenschaft sollte ich dienen? Wie diente ich der guten Sache am besten? Als Arzt hinter der Front, als Stoßtruppführer an der Front? Ich schwankte in meinem Herzen nicht. Ich wußte genau, wohin es mich zog. Aber ich überließ es dem Schicksal, das heißt diesmal der Kommission auf dem spanischen Generalkonsultat, zu entscheiden, wie ich am besten nützen könne. Man entschied sich dafür, ich könne als Arzt größere Dienste leisten. Sie hatten wenig Ärzte, aber genug Soldaten. Die gesamte Zivilbevölkerung hatte sich bereit gezeigt, die Waffen zu ergreifen und sich in ihrem Gebrauch ausbilden zu lassen. Diese Ausbildung erforderte nur wenige Wochen, höchstens ein paar Monate. Nachher war ein Metallarbeiter aus der Stadt, ein Ackerbauer vom Lande ein vollwertiger Soldat. Einen Arzt fabrizierte man nicht so schnell. Ich war froh über diese Entscheidung, setzte meinen Namen unter ein Formular und erfuhr, wo und wann ich mich dem nächsten Transport über die Pyrenäen anzuschließen hätte.
    Auf dem Konsulat waren einige Menschen, die mich von früher kannten. Ich ließ mich aber in kein langes Gespräch ein, sondern eilte heim, um alles zu ordnen, was noch zu ordnen war.
    Ich rief meine Frau an, bat sie, sofort zu kommen. Sie erkannte am Ton meiner Stimme, daß etwas Entscheidendes vorgegangen war, und besprach eine Zusammenkunft mit mir, aber nicht in Paris, sondern in Versailles, weil sie möglichst wenig Zeit verlieren wollte, so ernst nahm sie ihre Stellung in dem Haus, das sie mit Lise betreute.
    Auf dem Wege nach Versailles mit der kleinen Bahn auf dem linken Ufer der Seine, überlegte ich die zweite Entscheidung. Sollte ich mich meiner Frau anvertrauen, sollte ich ihr sagen, was ich tat und was mich froh und sogar glücklich machte? Oder sollte ich einen wohltätigen Schleier darüberbreiten und andeuten, ich ginge mit meinem Meister ›ins Ausland‹? Hier wurde mir die Entscheidung nicht wie auf dem Konsulat aus der Hand genommen. Ich mußte sie selbst treffen. Ich fürchtete, mein Entschluß würde den letzten Rest von Ehe, der noch zwischen mir und ihr bestand, zerstören, sie würde ihn mir nie verzeihen, daß ich handelte wie Leon Lazarus. Sie hörte sich alles mit totenblassem, verzerrtem Gesicht an, hielt die Augen gesenkt, blieb stumm. Auch ich hatte nicht viel Worte gemacht. Vielleicht war die Form hart. Aber je mehr ich gezögert hätte, das auszusprechen, was in mir feststand, desto mehr Schaden hätte ich angestiftet.
    Nachdem wir vielleicht eine Viertelstunde lang stumm nebeneinander durch den Schloßpark von Versailles gegangen waren, setzten wir uns auf eine Bank und begannen zu sprechen. Ich wollte meine Kinder vor der Abreise sehen. Bei Lise war das leicht möglich, etwas schwieriger war es bei Bobby, der eine Stellung als ›Lift‹ in einem Hotel zweiten Ranges erhalten hatte. Meine Frau meinte etwas bitter, er hätte noch Glück gehabt, hätte seinen Namen Bobby nicht wechseln müssen, denn fast alle ›Lifts‹ würden Bobby gerufen. Ich wußte, was hinter dieser Ironie stand, und tat, als empfände auch ich dies als ein Glück. Er hatte Nachtdienst und schlief bis in den Abend. Da ich aber am Nachmittag reisen sollte, mußte er eben geweckt werden. Ich fand ihn übrigens reizend in seiner knappen, bunten Uniform, fast noch reizender als seine Schwester. Sie waren keineswegs ergriffen bei dem Gedanken, sie sollten mich einige Zeit nicht sehen. Sie sahen ihre Mutter an, und da diese Ruhe und Gefaßtheit bewies, taten sie desgleichen. Ich machte ihnen beiden kleine Geschenke, die sie untereinander austauschten, denn ich hatte nicht die richtige Wahl getroffen. Dann blieb ich mit meiner Frau zusammen. Sie vermied es, auf das Gewesene und Künftige zu sprechen zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher