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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge
Autoren: Ernst Weiß
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lang, die Aufzählung kurz. Es waren und blieben die 30 Mark.
    Der Franc war gefallen, man konnte für diese 30 Mark in Paris viel mehr kaufen, als dem Wert dieses Betrages in der Heimat entsprach. Aber ein Bettel blieb es. Wir waren noch nicht an der Schwelle unseres Hotels, als meine Frau ruhig, aber jede Silbe betonend, mich fragte: »Und warum arbeitest du nicht?« Ich sagte, es sei nicht möglich, als Arzt die Arbeitserlaubnis hier zu bekommen, das Gesetz sei dagegen. »Andere kümmern sich nicht darum«, antwortete sie, »du mußt endlich begreifen, daß du die Kinder hast kommen lassen und daß man an ihre Zukunft denken muß.« – »Was also soll ich tun?« fragte ich. »Du bist der Mann, du mußt es wissen«, sagte sie und nahm meinen Arm. – »Ich weiß nichts.« – »Ich habe dir oft geraten, und nicht immer falsch. Hättest du mir gefolgt, wären wir noch heute in der Heimat, und die Kinder hätten ein Dach über dem Kopf.« – »Geschehen ist geschehen«, sagte ich und wollte sie ablenken, denn mir lag nichts daran, das Vergangene aufzurühren.
    »Ich will nicht sagen«, fuhr sie etwas milder fort, während sie ihren Arm wieder aus dem meinen löste, was mir sehr lieb war, »daß ich die Papiere im Safe bloß deinetwegen herausgegeben habe. Es war auch meinetwegen. Es war der Kinder wegen. Es war sogar auch um deines Vaters willen, so seltsam dir das in den Ohren klingen wird. Aber du hast recht, es ist unnütz, darüber zu sprechen. Ich habe wenige Fehler in meinem Leben gemacht, diese aber sind schwer gewesen. Ich hätte niemals einen Leon Lazarus heiraten dürfen, ich hätte niemals so lange auf dich warten sollen.« – » Du hast auf mich gewartet?« fragte ich. Sie schwieg, dann sagte sie mit dem alten hellen Lachen: »Was bist du für ein Kind!« Ich schüttelte den Kopf, lachte aber auch. »Ich muß wie eine Mutter für euch drei sorgen, aber es wird mir gelingen. Ich habe auch meinen seligen Vater geführt und beraten, er hat ohne mich keinen Schritt gemacht. Nun müssen wir überlegen, wie wir die Kinder brav großziehen und was aus ihnen werden soll. Kannst du dich nicht überwinden? Es kann doch nicht sein, daß sie dir dort das Rückgrat gebrochen haben. Wo treibst du dich jeden Mittag und jeden Abend umher? Brauchst du eine andere Frau, eine jüngere, eine frohere?« – »Nein, Viktoria«, sagte ich, »du bist ...« Ich sprach nicht weiter, es war nicht nötig. Ich wartete, bis wir unsere Erfrischungen genommen und gezahlt hatten, dann gingen wir zum Hotel zurück, und auf dem Wege dorthin erzählte ich meiner Frau zum erstenmal vom Tellerwaschen. Die Wirkung war aber ganz anders, als ich erwartet hatte. Sie geriet in wahnsinnigen Zorn, schlug mit dem Kopf gegen die Wand eines Hauses, weinte und konnte sich nicht beruhigen. Endlich gelang es mir, sie so weit zu bringen, daß sie mit mir noch einmal in das kleine Café ging, das man gerade schließen wollte. Rings um uns stellte man die Stühle auf die Tischchen, und wir mußten sofort zahlen, nachdem wir unser Getränk erhalten hatten. »Wozu?« – »Wozu?« schluchzte sie, und stieß die beiden Gläser von sich. »Das Zeug kostet Geld, und es fehlt am Brot.« Sie faßte meinen Kopf bei den Schläfen und zog ihn nahe zu sich heran, so daß ich ihren heißen fliehenden Atem spürte. »Hast du denn nicht bedacht, daß du einem fetten französischen Arzt das Brot nicht wegnehmen willst und deshalb einem französischen Tellerwäscher das magere Brot wegnehmen mußt. Nein, nein ... nein ...« Sie begann jetzt schrill, ohne Übergang, zu lachen. Sie war in den Jahren. Es kamen Wallungen über sie, ich verstand sie als Arzt. Als Gatte nicht. Sie war jetzt wieder guter Dinge. Sie trank beide Gläser aus. Ich hatte keinen Durst. Ich drängte in sie, sie möge mir den Stand des Geldes angeben. Sie lachte weiter und sagte: »Dreihunderttausend Francs in Gold.« Alles, was ich tat, um sie dazu zu bringen, mir Klarheit zu geben, war vergebens. Sie behielt ihre Geheimnisse für sich. Ich hatte das meine preisgegeben.
    Ich hatte nicht aufgehört, Frieden zu suchen, manchmal hatte ich gehofft, ich fände ihn bei ihr wieder, die ich einmal sehr geliebt hatte. Nein, nicht sehr , einfach geliebt. Aber sie nahm mir das wenige an Ruhe, das ich inzwischen gewonnen hatte, und ich erkannte mit Schaudern, daß das gemeinsame Unglück die Menschen nicht zu-, sondern voneinander treibt. Ich unterschied ihre Ironie nicht mehr von ihrem Ernst, und bald hörten
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