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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
Autoren: Dirk Bernemann
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Sehr, sehr laut, sagen meine Ohren. Und auch er und sie und auch die anderen beiden müssen mich anschreien und wir nennen das Kommunikation. Wir trinken Wodka, der rot eingefärbt ist wegen irgendeiner Fruchtsubstanz, die irgendwer da reingemacht hat. Ja, Wodka. Roter Wodka. Dazu Bier aus unhandlichen Flaschen. Ich rede mit Menschen über Seelenhunger, Politik, Liebe und Technik. Ich habe von keinem der Themenbereiche irgendeine Ahnung. Hat aber keiner, schwant mir, und dann passt das wieder. Ich rede wilde Floskeln durch den Raum, und dieser rote Wodka macht Laune, Tanzbeine bewegen sich, verdrehen sich, ein Mädchen lächelt mich an, ich trinke Wodka, sie lächelt weiter. Es dauert fünf Minuten, bis sie versteht, dass ich nicht wegen ihr hier bin. Ich trinke. Ich lächle.
    Drei Stunden zuvor saßen wir im Wohnzimmer seiner Eltern. Er ist dieser Musikerfreund, bei dem man sich gut fühlen kann. Gitarre und Bierflaschen leermachen, so haben wir uns schätzen gelernt. Rustikal sowohl Freundschaft als auch Wohnzimmer. Hier kann man sich ihn als Kind vorstellen, wie er seiner Mutter beim Abtrocknen half oder die große Rasenfläche draußen mähte.
    Sie war da, er war da, ich war da. Sie ist so eine Art Indiependentsexgöttin. Sie hielt sich zurück, wenn wir redeten, und kicherte, wenn wir lustig und dumm und laut waren. Sie ist irgendwie die seine, irgendwie auch nicht. Eine komplizierte Beziehung zweier Menschen, die beide meine Freunde sind, aber die in diesem Punkt nie mit der Vollheit ihrer Gefühle an die Öffentlichkeit oder an mich traten. Schade.
    Wir rauchten und tranken Flaschenbier und sahen einen Film mit Hansi Hinterseer. Der Film gefiel. Es wurde laut gelacht und Hansi gab alles: Blicke, Föhnfrisur, Sprachbehinderung. Alles stimmte an diesem Mann in diesen Momenten. Und als er sagte: "Für Träume ist es nie zu spät", dachte ich, ja, stimmt. Und Hansi sang und Hansi sprach die Wahrheit und Hansi trauerte und Hansi liebte. Ja, der Hansi, eine zerbrechliche Gestalt im Arschlochkostüm. Ja und der Brunner? Der Brunner hat auf dem Feuerwehrfest ein Kind gezeugt und seine Ehefrau, die er damit beschissen hat, bescheinigt ihm einen "einwandfreien Charakter". Jesus, dachte ich, schwing den Hammer der Gerechtigkeit.
    Dann gingen wir zu diesem Fest und klingelten zuvor beim Schalkehooligan. Das ist so ein Mann, der wohnt bei uns im Ort, der kennt nur "blau-weiß" und/oder "auf's Maul". Wir wollten in unserem Zustand nur mal sehen, ob der Mann zu Hause ist, um uns vielleicht von dem Kloppe androhen zu lassen. Gefahr ist manchmal echt lustig, siehe Hansi Hinterseer. Der Hool war aber nicht da oder wieder besoffen oder aber beides. Egal. Gut, dass er nicht runterkam, um uns zu verprügeln, dachte ich letztendlich.
    Wir tranken weiter. Liefen einige Schritte, dann wurde es: LAUT!!! und SCHLIMM!!! Eben bereits erwähntes Partygetümmel tat sich direkt vor unseren Augen auf und wir stolperten in die Menge. Eine Menge bestehend aus ungefähr fünfzig stark alkoholisierten Individuen, die sich alle in einen schmerzvollen Sonntagmorgen saufen wollten. Scherben, Getränkereste, mit Bier gefüllte Chipstüten und darin, darüber, daneben Menschen, die unbändige Lust auf die Extase des Augenblicks hatten. So geht Party irgendwie, zumindest ging sie so, als ich 15war.
    Der Raum war nicht dekoriert. Alles lag überall. Getanzt wurde überall, aber tanzen war das nicht wirklich, sondern eher der Versuch, beim Stehen keine Angst vor dem Fallen zu haben. Es handelte sich hierbei, also bei diesen Räumlichkeiten, um so einen Proberaum diverser Punk- und Metalkapellen aus dem ländlichen Umkreis meiner Heimatstadt. Raum und Menschen waren komplett voll. Menschen mit langen Haaren und ohne Kenntnisse von Haarkuren schüttelten ihre splissgeplagten Frisetten im Takt von viel zu schnell gespielten Schlagzeugen. Einige hatten Probleme mit Schuppen (Pogo). Einige Mädchen redeten komisches Mädchenbefindlichkeitszeugs, das tun sie gerne, diese Mädchen. Sie sind alle um die 22 und wissen nicht, warum sie sind, wie sie sind. Auch nicht wer. Aber sie fragen sich auch nicht, warum sie sind, wie oder wer sie sind. Ihnen ist egal, warum sie so sind, wie oder wer sie sind. Und sie sehen alle aus wie eine Mischung aus Daisy Duck und Dita von Teese. Sie sind, wie sie sind, weibliche Kinder unserer Zeit, und sie redeten, rauchten, tranken und das Leben meinte es zu einigen Gesichtern sehr gut. Die waren alle so in dem Alter, in dem ihnen
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