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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
Autoren: Dirk Bernemann
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der Straßenbahn, sie tanzen neben mir in der Indiedisco, sie bestellen im Restaurant, was ich bestelle, und sie kommen sogar auf meine Lesungen. Denen ist dieser Text gewidmet. Take care.
Die okayen Leute sehnen sich nach neuen Menschen
    Früh morgens trinkt Beate alleine in der Küche Kaffee. Beate ist was Soziales, muss früh raus; ihr Freund ist was Asoziales, Arbeitsloser nämlich, muss nicht raus. Bleibt liegen. Beate trinkt Kaffee.
    Der Kühlschrank ist aber trotz aller Halbarmut gefüllt mit allerlei Nahrung. Niemand ist dort einsam, es gibt da eine friedliche Koexistenz verschiedener Nahrungsmittelfamilien. Die Wurst ist nicht allein, sie liegt ganz oben beim Schinken, der in direkter Nachbarschaft des mittelalten Goudas herumexistiert. Ein Geschoss tiefer wohnen Halbfettmargarine, ein Frischkäsepärchen und ein stinkender Leberwurstsingle, der aber allgemein akzeptiert wird. Der Typ ist echt übel drauf.
    Im Untergeschoss wohnt noch eine Gemüse-WG, bestehend aus einer Tomatenfamilie, einem Gurkenpaar und zwei Auberginen. Es gibt auch noch nette Getränkenachbarn, die am Rand der Tür wohnen: Frau O-Saft, Herr A-Saft und diese coole Amerikanerin, Coke light.
    Beates Job ist es, kleine Wesen lieb zu machen, lieb zu erhalten trotz medialer, elterlicher und sonstiger schlechter Einflüsse. Im Kindergarten. Beate ist Erzieherin. Das ist schwere Arbeit. Beate trinkt Kaffee. Erst neulich kam der kleine Paul zu ihr, der ist drei Jahre alt und seine Eltern sind Baustelle und Hausfrau. Der Paul ist das, was man im pädagogischen Fachjargon "verhaltensauffällig" nennt. Paul ist verbal aggressiv und tituliert die anderen Kinder, wie auch das Kindergartenpersonal, mit Worten wie "Nudde", "Kackkopp" oder "Kotzbrang", wobei man bei Letzterem noch nicht hinter die Bedeutung gekommen ist. Paul kam also zu Beate und sagte: "Du Nudde, meine Mama hat mich geschlagn." Daraufhin wollte die damals noch sozial engagierte Beate ein Elterngespräch einberufen, das auch zustande kam, Beate aber auch mit dem Schrecken und der Plattheit der Realität konfrontierte. Das Gespräch war recht kurz. Man stellte sich vor, Pauls Mutter roch etwas unangenehm nach Armut und Paul war wie immer sehr nervös und verhaltensauffällig. "Kotzbrang", brüllte er durchs Büro, und seine Mutter lächelte milde und widerstandslos. Beate konfrontierte dann Pauls Mutter mit dessen Aussage, sie schlüge ihn, worauf diese nur antwortete: "Wieso? Das Kind hat doch angefangen?" Mit dieser Kleingeistigkeit konnte Beate nicht umgehen. Das waren Gesetze, die sie nicht kannte, aber schluckte, weil sie nach Gewalt rochen. In diese Richtung wollte Beate nicht mitgehen, und das war der Punkt, an dem sie aufhörte, sozial engagiert zu sein, um forthin nur noch als Pädagogikmaschine zu funktionieren.
    Eigentlich ist mein Job doof, denkt sich Beate und stellt sich ein Leben mit zwei eigenen Kindern vor, die Max und Sophie heißen sollen. Die sollen auch hier am Tisch sitzen und lustige Sachen sagen, wenn ich mich langweile, und danach gucken wir zusammen Peter Lustig, denkt sich Beate. Im Bauwagen wohnen, Latzhose tragen, die Welt erklären. Und das klingt komisch, ist aber so. Max und Sophie hätten mehr drauf als Zahnbelag und wären so spontan wie ein Fahrplan der Deutschen Bahn. Sie könnten sehr früh sehr viel sehr gut und hätten niemals den Berufswunsch Busfahrer, sondern immer nur Präsident, Geldzähler oder Präsident. Sie wären keine armen Irren und keine irren Armen, erst recht keine Irren ohne Arme. Nein, sie wären gesund und munter, obligatorisch ihr Glitzern in den Augen und die roten Wangen, ganzjährig, nicht nur zur Weihnachtszeit.
    Max und Sophie hätten niemals so doofe Krankheiten wie Doppelamputation, therapieresistente Epilepsie, Glasknochen, Morbus Parkinson, Osteoporose und rheumatische Arthritis und auch natürlich keine Mukoviszidose und erst recht keine eingewachsenen Zehennägel. Max und Sophie würden auch wegen ihrer gut geformten Erziehung niemals so Sätze sagen wie: "Ich will keine Demonstranten sehen, solange sie nicht brennen." Nein, das läge ihnen fern, sich derart politisch radikal zu äußern. Sie sind vernünftige Kinder der Mitte und an Mehrheiten interessiert.
    Max und Sophie sollen mit Brotaufstrichen rumschmieren, nicht zu doll natürlich, in geregeltem Pegel nicht allzu laut schreien, und sie würden in ihrem Leben von ihrer intelligenten und lebenserfahrenen Mutter jeden Tag was dazulernen. Sie wären tolle Schüler,
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