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Der 8. Tag

Der 8. Tag

Titel: Der 8. Tag
Autoren: David Ambrose
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    S IE HATTE SICH ü berlegt es ihm vielleicht w ä hrend der gemeinsamen Osterferien in der Bretagne zu sagen. Es hing davon ab, wie die Sache sich entwickeln w ü rde. Sie wollte ihm nicht die Pistole auf die Brust setzen. Sie war bereit die volle Verantwortung zu ü bernehmen; sie war neunundzwanzig und alt genug ihr Leben in die Hand zu nehmen.
    Trotzdem hatte er ein Recht darauf, es zu erfahren. Ob er nun daran teilhaben wollte oder nicht lag an ihm. Wenn ihn der Gedanke an ein Kind erschreckte, dann w ü rden sich ihre Wege ohne Groll trennen. Sie hatte schon beschlossen ihn nicht um Unterhalt f ü r das Kind zu bitten. Sie w ü rde das Kind alleine aufziehen. Andere Frauen, solche die sie bewunderte, hatten es auch getan und sie w ü rde es ihnen gleichtun.
    Es machte ihr Sorgen, dass er vielleicht eine dieser Halbhe i ten vorschlagen k ö nnte, zum Beispiel, dass sie das Kind b e kommen w ü rde, ihre Beziehung aber auf diese leichtlebige Art, ohne gegenseitige Verpflichtungen, weiterlaufen sollte. Das, so hatte sie sich ü berlegt, w ü rde nicht funktionieren. Das Kind sollte einen richtigen Vater haben oder ü berhaupt ke i nen.
    Als sie an diesem Morgen ins Institut fuhr, sah man auf den Stra ß en kaum Studenten. Die meisten von ihnen waren schon in den Osterferien. Philip und sie wollten sich am Donnerstag nach Frankreich aufmachen. Sie sollte ihn in der Wohnung seines Freundes Tom in Earls Court abholen, wo die beiden die Sommerausgabe der Literaturzeitschrift zusammenstellten, deren Mitherausgeber sie waren.
    Sie hatte in den letzten paar Wochen kaum mit Philip g e sprochen, da er dort unten in hektischer Betriebsamkeit war und es ihr hier nicht besser ergangen war. Ein kurzes Woche n ende hatte sie mit ihm verbracht aber sie waren meist auf Partys und mit Leuten zusammen gewesen, hatten eine Vo r stellung in einem kleinen Theater besucht und es war keine Zeit gewesen ü ber das Kind zu sprechen. Es w ü rde einfacher sein, wenn sie weg von allem w ä ren, am Strand spazierten, m ö glicherweise mit dem Mont St. Michel am Horizont. Das entsprach mehr ihren Vorstellungen.
    Auf dem zweiten Brief, den sie aus ihrem Postfach nahm, erkannte sie seine Handschrift sofort. Er war am Samstag in London abgestempelt. Sie ö ffnete ihn schnell und fand nicht die Zeit sich zu wundern, was das wohl zu bedeuten hatte. Doch sie brauchte nur die ersten paar Zeilen zu lesen um B e scheid zu wissen.

    Meine geliebte Tessa,
    mir ist es noch nie so schwer gefallen einen Brief zu schreiben. Ein Teil von mir w ü nschte den Mut zu haben, dir dies von Angesicht zu Angesicht zu sagen, doch der andere Teil dankt Gott daf ü r, dass es nicht so ist, denn ich k ö nnte deinen mer k w ü rdigen, resignierenden Blick, den du immer dann b e kommst, wenn dich jemand entt ä uscht, nicht ertragen.

    Er fuhr mit der Mitteilung fort, dass er sich seit drei Monaten mit einer anderen Frau traf. Seine Reisen nach London um an der Zeitschrift zu arbeiten waren mehr und mehr zu einer Ausrede geworden. Die Frau, deren Namen er nicht nannte, kam wie er selbst aus Australien. Jetzt, da sein zw ö lfmonatiges Stipendium in Oxford zu Ende ging, hatten sie beschlossen gemeinsam nach Australien zur ü ckzugehen. Mehr schrieb er nicht, nur die ü blichen Gef ü hlsduseleien, wie wertvoll ihm die Zeit mit Tessa war, wie er sie immer im Ged ä chtnis behalten und niemals vergessen w ü rde usw. Auf Wiedersehen.
    Nachdem sie ihn zum zweiten Mal gelesen hatte, bemerkte sie, wie sie immer noch dastand und mit ausdrucksloser Mi e ne einige Momente, vielleicht sogar Minuten auf den Brief gestarrt hatte. Sie begann nochmals ihn zu lesen, brach dann aber ab. Es hatte keinen Zweck, es stand nicht mehr darin und es gab auch nichts zwischen den Zeilen zu lesen. Es war vo r bei.
    Neben ihr erklangen auf den alten, gesprungenen Marmo r fliesen die Schritte von Leuten, die ihren Gesch ä ften nachgi n gen. Gl ü cklicherweise kam niemand vorbei, den sie gut kan n te; sie wusste nicht, wie sie reagieren w ü rde, wenn sie jemand ansprach. Sie drehte sich um und eilte hinaus zu ihrem W a gen, wo sie sich hinter das Lenkrad setzte.
    Warum hatte er den Brief hier ins Institut geschickt und nicht zu ihrem Cottage? Nicht dass es eine Rolle spielte, aber es musste einen Grund daf ü r geben.
    Sie faltete den Brief noch einmal auseinander und flog ü ber die inzwischen vertrauten S ä tze. Das war es: Zeit. Die Frau und er flogen an diesem Morgen von Heathrow ab. Sie
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