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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter
Autoren: China Miéville
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    Nach Steppe und Buschland und einsamen Gehöften nun diese ersten verstreuten Hütten, die auf der Erde kauern. Es ist Nacht, lange schon. Die schäbigen Behausungen, die sich am Flussufer drängen, sind im Dunkeln gleich Pilzen rings um mich emporgesprossen.
    Wir schaukeln. Wir rollen in einer tiefen Strömung.
    Hinter mir stemmt sich der Mann erschrocken gegen die Ruderpinne und bringt uns zurück in ruhiges Wasser. Lichtschein tanzt, als die Laterne schwingt. Der Mann hat Angst vor mir. Ich beuge mich aus dem Bug des Kahns über das dunkel strömende Wasser.
    Über dem öligen Tuckern der Maschine und dem schmeichelnden Seufzen des Flusses wehen leise Geräusche heran, Hausgeräusche. Holz wispert und der Wind streicht über Schindeln, Mauern und Fußböden dehnen sich in ihre Fugen. Die Hand voll Bauten hat sich vermehrt, hundert-, tausendfach; sie breiten sich vom Ufer weg landeinwärts aus und übersäen die Ebene mit Lichtern.
    Sie umringen mich. Sie wachsen. Sie sind höher und massiger, ihre Stimmen lauter: Dächer aus Schiefer, Mauern aus Ziegelstein.
    Der Fluss windet und biegt sich und bringt uns dann vor das Angesicht der Stadt. Unversehens ragt sie empor, gigantisch, ein Fremdkörper, der Landschaft aufgezwungen. Der Widerschein ihres Lichtermeers bekleidet die Hänge der Bergumwallung mit der Farbe gerinnenden Blutes. Ihre schmutzigen Türme glühen. Ich fühle mich klein. Ich bin versucht, mich in Ehrfurcht zu neigen vor dieser phantasmagorischen Megalopole, emporgewuchert aus dem Treibgut der zwei Flüsse, die sich hier vereinen. Sie ist ein immenser Giftkessel, ein Gestank, ein misstönender Posaunenstoß. Fette Schlote speien selbst jetzt, in tiefer Nacht, feurige Rußfahnen in den Himmel.
    Längst ist es nicht mehr die Strömung, die uns zieht, sondern die Stadt selbst, ihre Masse verschlingt uns. Gedämpfte Rufe, hier und dort die Stimmen von Tieren, obszönes Dröhnen und Stampfen aus den Fabriken, wo riesige Maschinen brunsten. Bahngleise durchziehen die urbane Anatomie wie hervortretende Adern. Rote Ziegel und schwarze Mauern, ungeschlachte Kirchen wie steinzeitliche Relikte, flatternde zerschlissene Markisen, das kopfsteingepflasterte Labyrinth der Alten Stadt, Sackgassen, Abwassergräben, die wie profane Katakomben durch die Erde schneiden, eine Hügellandschaft aus Müll, Schutthalden, Bibliotheken, gemästet mit vergessenen Folianten, heruntergekommene Hospitäler, Häuserblocks turmhoch, Schiffe und Stahlkrallen, die Lasten aus dem Wasser heben.
    Wie konnten wir diese Monstrosität nicht kommen sehen? Welche widrige Beschaffenheit des Geländes erlaubt dem geduckten Ungeheuer, wohlverborgen zu lauern und sich unversehens auf den Reisenden zu stürzen?
    Es ist zu spät, um zu fliehen.
     
    Der Mann hinter mir spricht mit gedämpfter Stimme auf mich ein, erklärt mir, wo wir sind. Ich schaue mich nicht nach ihm um. Dies ist Raven’s Gate, dieser verwahrloste Ameisenhaufen um uns herum. Die schäbigen Baracken lehnen aneinander, als wären sie müde. Der Fluss schmiert Schleim an seine Ziegelufer, Zwingmauern, errichtet, um das Wasser in Schranken zu halten. Ein widerwärtiger Brodem hängt über allem.
    (Ich frage mich, wie dies aus der Luft aussehen mag; unmöglich dann für die Stadt, sich zu verbergen, käme man über sie mit dem Wind, sähe man sie auf Meilen und Meilen voraus, wie einen Schmutzfleck, wie ein Stück Aas, von Maden durchwimmelt – ich sollte nicht so denken, aber ich kann jetzt nicht aufhören, ich könnte mich von den Aufwinden der Schlote tragen lassen, hoch über den stolzen Türmen schweben und auf die Erdgebundenen hinunterscheißen, das Chaos reiten, landen, wo es mir beliebt, ich darf nicht so denken, ich darf es nicht, nicht jetzt, nicht dies, noch nicht.)
    Hier dann Häuser, die weißlichen Seim ausschwitzen, ein organischer Verputz, der nackte Fassaden überzieht und aus höher gelegenen Fenstern träuft. Nachträglich aufgesetzte Stockwerke bestehen aus dem kalten weißen Unflat, der Häuserlücken füllt und Sackgassen. Die verschachtelte Backsteinlandschaft liegt weich gerundet unter breiten Wellenzungen und Wächten, als wäre darüber Wachs geschmolzen und langsam wieder erstarrend herabgeträuft. Irgendeine fremdartige Lebensform hat sich in diesen Menschenstraßen eingehaust.
    Straff gespannte Taue, befestigt mit milchig ausgehärtetem Qualster, ziehen sich über den Fluss. Sie summen wie Basssaiten. Etwas läuft über unseren Köpfen da oben
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