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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter
Autoren: China Miéville
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hatte vor zehn Jahren die Universität verlassen, richtig, aber nur, weil er zu seiner Bestürzung einsehen musste, dass er nicht zum Lehrer taugte.
    Er hatte in die ihm zugewandten verwirrten Gesichter geblickt, dem hektischen Kritzeln der überforderten Studenten gelauscht und begriffen, dass er mit einem Verstand, der allein Lust und Laune gehorchend durch die Korridore der Theorie koppheisterte, zwar selbst lernen konnte, das Wissen aber nicht weiterzugeben vermochte. Er hatte beschämt sein Haupt verhüllt und die Flucht ergriffen.
    Als weitere Abweichung von der Fama handelte es sich bei seinem Dekan, dem alterslosen Unsympathen Vermishank, nicht um einen stumpfsinnigen Epigonen, sondern um einen Biothaumaturgen von hohen Graden, der Isaacs Forschungen weniger deshalb einen Riegel vorgeschoben hatte, weil sie unorthodox waren, sondern weil sie nirgends hinführten. Isaac konnte brillant sein, aber ihm fehlte Disziplin. Vermishank hatte ihn zappeln lassen wie einen Fisch an der Angel, bis er darum bettelte, als freischaffender Mitarbeiter tätig sein zu dürfen, für ein Butterbrot, aber mit beschränktem Zugang zu den Forschungseinrichtungen der Universität.
    Und das – dieser bescheidene Posten! – war der Grund für die Zurückhaltung Isaacs, was sein Liebesleben anging.
    Dieser Tage war seine Beziehung zur Universität nur mehr eine Pro-forma-Angelegenheit. Im Lauf von zehn Jahren hatte er sich nach und nach ein eigenes, bestens ausgestattetes Labor zusammenstibitzt; seine Einkünfte stammten größtenteils aus den dubiosen Aufträgen von New Crobuzons weniger respektierlichen Bürgern, deren Bedarf an raffinierten wissenschaftlichen Tüfteleien ihn immer wieder in Erstaunen versetzte.
    Doch Isaacs Forschungen – über all die Jahre hinweg unverändert in ihren Zielen – konnten nicht in einem Vakuum gedeihen. Er musste publizieren. Er musste debattieren. Er musste argumentieren, an Konferenzen teilnehmen – als der rebellische Sohn. Ein Renegat zu sein, brachte durchaus Vorteile mit sich.
    Jedoch kokettierte die Akademie nicht nur mit ihrer konservativen Haltung. Erst seit zwanzig Jahren waren xenomorphe Studenten als Doktoranden zugelassen. Sich offen zu einer Speziesüberschreitenden Liaison zu bekennen, war der sicherste Weg, ins akademische Aus zu manövrieren – und nicht zu vergleichen mit dem Böse-Buben-Image, das er bewusst vor sich hertrug. Was er fürchtete, war nicht so sehr, dass die Herausgeber der Journale und die Komitees und die Verleger von ihm und Lin erfahren könnten. Er fürchtete, man könnte ihn dabei ertappen, dass er sich nicht genügend Mühe gab, diese Mesalliance geheim zu halten. Solange er sich der angemessenen Diskretion befleißigte, konnte man ihm nicht vorwerfen, sich gesellschaftlich unmöglich gemacht zu haben.
    Was Lin partout nicht einsehen wollte.
    Du versteckst uns, damit du Artikel für Leute schreiben kannst, die du verachtest, hatte sie ihm einmal nach einer Liebesnacht zu verstehen gegeben.
    In Phasen der Missstimmung fragte Isaac sich, was sie wohl tun würde, wenn die Kunstwelt drohte, über sie ein Scherbengericht abzuhalten.
     
    An diesem Morgen konnte das Liebespaar den aufkeimenden Streit ersticken, mit Scherzen und Entschuldigungen und Schmeicheleien und Lust. Isaac lächelte Lin an, als er sich in sein Hemd kämpfte und ihre Kopfbeine sinnlich wedelten.
    »Was hast du heute für Pläne?«, fragte er.
    Gehe nach Kinken. Brauche Färberbeeren. Gehe zu Ausstellung in Howl Barrow. Arbeite heute Nacht, fügte sie bedeutungsvoll hinzu.
    »Dann steht zu vermuten, dass ich dich eine Zeit lang nicht zu Gesicht bekommen werde?« Isaac grinste. Lin schüttelte den Kopf. Isaac zählte an den Fingern Tage ab. »Hm … wie wäre es mit Abendessen im Glock’ und Gockel am – warte mal – am Schontag? Um acht Uhr?«
    Lin überlegte. Sie hielt seine Hände, während sie nachdachte.
    Großartig, gab sie ihm zu verstehen. Sie ließ offen, ob sie das Essen meinte oder Isaac.
    Sie versenkten die Teller und Töpfe in dem Eimer mit kaltem Wasser in der Ecke und ließen sie einweichen. Als Lin ihre Notizen und Skizzen sammelte, um zu gehen, zog Isaac sie sanft zu sich aufs Bett. Er küsste ihre warme, rote Haut. Sie drehte sich in seinen Armen, stützte sich auf einen Ellenbogen, und während ihre Kopfbeine sich spreizten, teilte sich langsam der dunkle Rubin ihres Rückenpanzers. Aus dem Schatten der beiden weit geöffneten, leicht vibrierenden Chitinschalen
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