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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter
Autoren: China Miéville
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konzertierter Angst das Feld. Der Weber bemächtigte sich der Besinnungslosen und brachte sie neben Isaac unter, der ihre Wärme durch seine Kleidung spürte.
    In seinem Kopf drehte sich alles. Erneut schritt der Weber seitwärts und befand sich auf der entgegengesetzten Seite des Raums, neben dem mechanischen Faktotum. Isaac hatte vollkommen vergessen, dass es existierte. Es war zu seinem gewohnten Ruheplatz in einer Ecke von Lublamais Raumhälfte zurückgekehrt, von wo aus es die Milizattacke verfolgte. Jetzt richtete es ein gläsernes Linsenauge auf den Weber. Die spinnengestaltige Manifestation, unausweichlich wie das Schicksal, beförderte das Konstrukt auf eine ihrer Bajonettextremitäten und warf es geschickt nach hinten. Die klobige, mannsgroße Maschine landete auf der Chitinwölbung des Hinterleibs. Sie wackelte gefährlich, fiel aber nicht herunter, ganz gleich, wie der Weber sich bewegte.
    Isaac spürte ein plötzliches mörderisches Brennen am Kopf. Er schrie vor Schmerz – und Schreck, als Blut heiß über sein Gesicht stürzte. Lemuels Aufschrei folgte so schnell, dass er fast wie ein Echo klang.
    Aus schwimmenden Augen und durch einen roten Schleier sah Isaac die vertraute Umgebung stroboskopisch flackern, während der Weber seinen Tanz durch die Dimensionen vollführte. Er erschien der Reihe nach neben jedem einzelnen Soldaten und einer seiner Arme bewegte sich schneller, als das Auge zu folgen vermochte. Jeder der Männer schrie auf, sodass ein unheimlicher Kanon von Schmerzenslauten mit blitzartiger Geschwindigkeit durch den Raum flog.
    In der Mitte des Lagerhauses hielt der Weber inne. Die Ellenbogen an den Leib gedrückt, sodass die Gefangenen sich nicht rühren konnten, verteilte er aus dem Handgelenk feuchtglänzendrote Dinge über den Boden. Isaac hob den Kopf und bemühte sich, trotz der brennenden Schmerzen unterhalb der Schläfe etwas zu erkennen. Überall jammernde, sich windende Gestalten, die sich den Kopf hielten und erfolglos versuchten, mit den Fingern Blutfontänen zu stillen. Isaac richtete den Blick auf den Boden.
    Der Weber säte blutige Ohren auf den Dielen.
    Unter seiner sich leichthin bewegenden Hand zeichneten Blutstropfen geschlängelte Spuren in den Staub. Die Muscheln lebenswarmen Fleisches fielen sacht auf die Bretter, ordneten sich zu dem perfekten Bild einer Schere.
    Der Weber schaute auf, grotesk beladen mit zappelnden Gestalten, die er jedoch nicht zu spüren schien.
    … LEIDENSCHAFTLICH UND LIEBENSWERT …, wisperte er und verschwand.
     
    Was ein Erleben war, verblasst zum Traum und zu Erinnerung. Ich sehe die Grenzen nicht zwischen den dreien.
    Der Weber, die große Spinne, kam in unsere Mitte.
    Im Cymek nennen wir ihn furiach-yajh-hett: den tanzenden wahnsinnigen Gott. Ich hatte nie geglaubt, jemals seinesgleichen mit eigenen Augen zu sehen. Er kam aus einem Tunnel in der Welt und stand zwischen uns und den abgesandten Bütteln. Ihre Waffen verstummten. Worte erstarben in Kehlen wie Fliegen in einem Spinnennetz.
    Der tanzende Gott durchwanderte den Raum mit dem Schritt des Überwinders. Er nahm uns in seine Hut – uns Abtrünnige, uns Verbrecher. Uns Flüchtlinge. Vernunftbegabte Konstrukte, erdgebundene Garuda, Reporter, die Nachrichten machen, verbrecherische Forscher und forschende Verbrecher. Der tanzende Gott sammelte uns alle ein, als wären wir fehlgegangene Anbeter, zu tadeln für ihr Abweichen vom rechten Wege.
    Seine Dolchhände blitzten. Die Menschenohren fielen als Fleischregen in den Staub. Ich blieb verschont. Meine unter Federn verborgenen Ohren sind keine Verlockung für diese launische Macht. Durch Geheul und Schmerzensgesänge lief der furiach-yajh-hett in Kreisen des Entzückens.
    Und ermüdete und schritt durch die Windungen der Wirklichkeit aus dem Lagerhaus.
    In eine andere Dimension.
    Ich schloss meine Augen.
    Ich bewegte mich in Richtungen, von denen ich nicht geahnt hatte, dass sie existierten. Ich fühlte das hurtige Gleiten dieser großen Vielzahl von Beinen, als der tanzende Gott auf starken Fäden der Macht entlanglief, in obskuren Winkeln zur Wirklichkeit und wir an seinen Ranken wippend. Mein Magen stülpte sich um. Ich fühlte, wie ich am Gewebe der Welt hakte und hakelte. Meine Haut prickelte in diesem fremden Reich.
    Für einen Moment steckte der Wahnsinn des Gottes mich an. Für einen Moment drängte die Lust zu Wissen sich dreist in der Vordergrund und wollte befriedigt sein. Für einen Splitter Zeit öffnete ich die
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