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Dreiländermord

Dreiländermord

Titel: Dreiländermord
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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1.
    Das Gesicht, das grinsend um die Hausecke lugte, erinnerte Böhnke sehr
an einen Bernhardiner.
    »Was willst du hier, du Störenfried?«, raunzte er den unangemeldeten,
aber nicht unbedingt unerwünschten Besucher an. Ächzend mühte er sich aus dem Liegestuhl,
in dem er seinen Mittagsschlaf gehalten hatte, der durch den Eindringling gestört
worden war. Herzlich umarmte er den Mann und bot ihm mit einer einladenden Handbewegung
einen Sitzplatz auf der windgeschützten Terrasse an.
    Der Bernhardiner ging auf die unwirsche Frage nicht ein. »Gut siehst
du aus«, meinte er freundlich und blinzelte in die Sonne, die den Herbst zu einem
goldenen machte.
    Der äußere Schein trog jedoch. Das wusste der Besucher ebenso wie der
Hausherr. Sein Freund Böhnke war schwer erkrankt, so schwer, dass er, nicht einmal
60-jährig, in den vorzeitigen Ruhestand geschickt worden war. Gegen seinen Willen
hatte Böhnke seine Tätigkeit in der Aachener Mordkommission aufgeben, seinen Schreibtisch
aufräumen und das Büro im Polizeipräsidium in der Soers verlassen müssen; geschwächt
von einer heimtückischen, plötzlich aufgetretenen Krankheit, für die die Mediziner
keine richtige Erklärung hatten und für die sie kein Gegenmittel wussten. Aus Gründen,
die bislang unerforscht geblieben waren, transportierte Böhnkes Blut immer weniger
Sauerstoff. Irgendwann einmal würde er deswegen sterben.
    Wann?
    Das war die Frage, die ohne Antwort blieb.
    In ein paar Tagen? In einigen Wochen? In mehreren Monaten? Oder gar
erst in einem Jahr oder zwei?
     
    Äußerlich machte Böhnke einen agilen, gesunden Eindruck. Wie sein Besucher,
ebenfalls an die 60, war er trotz der Jahre noch erstaunlich schlank, groß gewachsen
und mit einem Bürstenhaarschnitt versehen, der das graue Haar über dem von der Sonne
gebräunten Gesicht kurz hielt. Darin unterschieden sie sich bei aller körperlichen
Ähnlichkeit deutlich: Der Berhardiner wies weniger Bräune auf. Er war eben der Büroarbeiter,
während Böhnke inzwischen gerne den Aufenthalt in der freien Natur dem in einem
Haus vorzog. Böhnke und sein Besucher hätten als Brüder durchgehen können, aber
sie waren Kollegen gewesen: Kriminalhauptkommissar Böhnke in Aachen, Kriminalhauptkommissar
Küpper, den alle Welt wegen seines melancholischen Hundeblicks nur Bernhardiner
nannte, in Düren.
    »Und um mir diese irrige Feststellung ins Gesicht zu schleudern, bist
du aus deinem heiß geliebten Düren zu mir nach Huppenbroich gekommen?«, argwöhnte
Böhnke. Bei aller Freundschaft, die sich in den Jahrzehnten gemeinsamer, wenn auch
nicht ständiger Ermittlungsarbeit aus einer herzlichen Kollegialität entwickelt
hatte, waren private Besuche stets ausgeblieben.
    Warum also sollte Küpper ausgerechnet jetzt in
diesen abgelegenen Ort am Nordrand der Eifel kommen? Für viele war Huppenbroich
eine gottverdammte Wildnis, doch für Böhnke eine Oase der Ruhe mit über 425 Einwohnern,
so stand es jedenfalls auf der ortseigenen Homepage, inmitten einer harmonischen
Natur gelegen. Hierhin, in diese nur wenig bevölkerte Idylle, hatte er seinen Lebensmittelpunkt
verlegt, nachdem er seinen Beruf in Aachen hatte aufgeben müssen. Das Ferienhaus
seiner langjährigen Lebensgefährtin, die weiterhin in der Kaiserstadt im Dreiländereck
eine Apotheke betrieb, war zu seinem Hauptwohnsitz geworden. Dass es sich bei dem
Haus um einen ehemaligen, von Böhnke umgebauten Hühnerstall handelte, wussten nur
die wenigen Einheimischen, bei denen mehr und mehr die Besorgnis wuchs, von den
Zweitwohnungsinhabern aus Aachen, Düsseldorf, Köln oder Bonn in die Minderheit gedrängt
zu werden.
     
    »Küpper, du bist und bleibst ein ewiger und gleichzeitig miserabler
Lügner«, behauptete Böhnke, während er ein Glas mit Mineralwasser füllte und auf
dem Gartentisch abstellte. »Dir geht es nicht um mein Äußeres oder um mein Wohlbefinden,
sondern um etwas anderes. Oder?«
    Er sprach seinen Besucher nur mit dem Familiennamen an. Diese Gepflogenheit
hatten sie sich gegenseitig angewöhnt, auch wenn sie sich bereits seit langer Zeit
duzten. Wenn er ehrlich war, gestand sich Böhnke ein, kannte er nicht einmal mehr
den Vornamen von Küpper.
    Der ehemalige Kollege zeigte wieder sein Bernhardinergesicht. »Erstens
komme ich nicht aus meinem heiß geliebten Düren und zweitens musst du mir helfen,
Böhnke.« Ein gewisses Bedauern schwang in seiner Stimme mit, als er von Düren sprach.
Auch er hatte seine Tätigkeit als Leiter des
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