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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter
Autoren: China Miéville
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schrille Schmerzenslaute drangen hinter ihren gefletschten Zähnen hervor. Kleine Entladungen blauen Lichts zuckten wie Peitschenhiebe aus ihrem Haar und ihren Fingerspitzen.
    Der Offizier beobachtete sie aufmerksam, während er mittels der Regler an seinem Blitzwerfer Stärke und Art der Energie kontrollierte. Es gab einen heftigen, knisternden Ruck, Derkhan flog rücklings gegen die Wand und rutschte daran zu Boden.
    Der zweite Offizier schickte seine Zielfinder über die Tischkante, in der Hoffnung, Lemuel zu treffen; der aber hatte sich eng an das Holz gedrückt, und sie flogen harmlos an ihm vorbei. Der Mann drückte auf einen Knopf, und die Kabel spulten sich zurück für den nächsten Versuch.
    Lemuel starrte auf die besinnungslose Derkhan und fasste seine Pistolen fester.
    Isaac stieß ein lautes Wutgebrüll aus und schleuderte einen kübelgroßen Topf mit einer instabilen thaumaturgischen Mixtur gegen die Milizzer. Der Wurf ging nicht weit genug, aber der Topf zerplatzte mit solcher Gewalt, dass der Inhalt an und über die Schilde spritzte und sich mit dem Destillat vermischte. Zwei Soldaten fielen schreiend zu Boden, während ihre Haut zu Pergament wurde und ihr Blut zu Tinte.
    Eine lautsprecherverstärkte Stimme dröhnte durch die Tür. Es war die von Bürgermeister Rudgutter.
    »Beendet eure sinnlose Gegenwehr. Nehmt Vernunft an. Ihr könnt nicht entkommen. Stellt die Feindseligkeiten ein, und wir werden Gnade walten lassen.«
     
    Rudgutter stand im Kreis seiner Leibgarde. Es war nicht seine Gewohnheit, bei Razzien der Miliz dabei zu sein, aber hier handelte es sich nicht um eine normale Aktion. Sein Feldherrenhügel befand sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite und etwas unterhalb von Isaacs Lagerhaus.
    Noch war es nicht vollständig dunkel. Verschreckte und neugierige Gesichter spähten aus Fenstern straßauf und straßab. Rudgutter schenkte ihnen keine Beachtung. Er setzte den blechernen Trichter ab und wandte sich an seine Ministerin.
    »Das ist ein verdammtes Tohuwabohu«, sagte er. Eliza Stem-Fulcher nickte. »Na was soll’s, trotz ihrer Unfähigkeit, die Miliz kann nicht verlieren. Vielleicht werden wir ein paar Verluste zu beklagen haben, aber dar Grimnebulin und seine Komplizen sitzen in der Falle.« Plötzlich ärgerten ihn die Gesichter hinter den Fenstern.
    Er riss das Megafon an den Mund und blaffte: »Weg da! Hier gibt es nichts zu sehen!«
    Es folgte ein befriedigendes Flattern von Gardinen. Rudgutter trat einen Schritt zurück und schaute zu, wie das Lagerhaus erbebte.
     
    Lemuel fällte den zweiten Blitzwerfer mit einem eleganten, präzisen Schuss. Isaac hatte seinen Tisch die Treppe hinuntergeworfen und damit zwei bereits auf halber Höhe befindliche Angreifer unschädlich gemacht. Jetzt betätigte er sich wieder als chymischer Bombardier. Yagharek half ihm und bediente, Isaacs Anweisungen folgend, die Angreifer mit giftigen Mixturen.
    Doch ihr tapferer Widerstand war vergeblicher Heldenmut, konnte nur vergeblich sein. Der Feind war in der Überzahl. Als Einziges kam ihnen zupass, dass die Miliz Order hatte, nicht zu töten, denn Isaac und Lemuel und Yagharek erlegten sich keine diesbezügliche Zurückhaltung auf. Nach Isaacs Rechnung waren vier Milizzer gefallen: einer durch eine Kugel, einer mit eingeschlagenem Schädel, zwei weitere als Opfer von spontanen chymothaumaturgischen Reaktionen. Doch lange würden er und seine Freunde sich nicht mehr behaupten können. Die Miliz rückte hinter ihrem Schildwall gegen Lemuel vor.
    Isaac sah, wie die Soldaten zu ihm hinaufschauten und kurz beratschlagten. Dann hob einer von ihnen seine Flinte und legte sorgfältig auf Yagharek an.
    »Yag, runter!«, schrie er. »Dich brauchen sie nicht zu schonen!«
    Yagharek warf sich auf den Boden, und der Schütze hatte kein Ziel mehr.
     
    Keine plötzliche Manifestation, keine Gänsehaut oder monströse, ehrfurchtgebietende Erscheinung – nur die Stimme des Webers hörte Rudgutter aus dem Nichts in seinem Ohr singsangen:
    … UNGESEHEN ERKLOMM ICH HÄNGENDE SCHNÜRE VON HIMMELHEIT UND GLITT MIT BEINEN HIERHIN DORTHIN AUS AUF DEM PSYCHISCHEN DUNG DER NETZMISSACHTER SIE SIND NIEDERE KREATUREN UND UNGRAZIÖS UND DUMPF SAGT AN WAS GESCHIEHT HIER DIESER ORT BEBT…
    Rudgutter fuhr zusammen. Das hat mir gerade noch gefehlt!, dachte er, doch er antwortete mit fester Stimme.
    »Weber«, sagte er. »Wie nett, dass du kommst.«
    Er ist zu verdammt unberechenbar, dachte er dabei. Nicht jetzt, nicht
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