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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
Autoren: Dirk Bernemann
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alternativem Crossovergekünstle der Neunzigerjahre (Faith no more, Rage against the machine ...), Siebziger Jahre Unverständlichkeitsmusik (Led Zeppelin, The Doors, weiterer Hippiekram ...), aktuellem Metalcore (aaaarrrrrrrhhhhhhhh, lalalala, araaaagrhhhhrrrgggghhhh .... lalalala ....) und sogar Einschüben der Hamburger Schule (Sterne, Toco ...). Bewegung, ich Tanzschwein. Ich ging tanzen. Es ging mich tanzen, es - Atmosphäre, ein unsichtbarer Wille, der nicht meiner war - schob mich zwischen all die anderen Betrunkenen und ließ mich abgehen. "Sabotage" von den Beastie Boys. "Passenger" von Iggy Pop. "The End" von den Doors. Das sind so typische Lieder für einen solchen Abend. Am Plattenteller ein tauber DJ, dem man, wenn man ihn kennt, gerne Musikwünsche nennen kann, aber er muss dann immer mindestens fünf Mal nachfragen und spielt dann doch was anderes. Am besten sind kleine gelbe Post-it-Zettel, die man ihm direkt auf den rotierenden Plattenteller pappt, wenn er mal wieder dabei ist, einen Tanzabend metalcoremäßig genüsslich an die Wand zu deejayen. Das kann der ganz gut, der taube DJ, und er hört ja auch nicht zu, wenn sich die Nicht-Metal-Menschen dazu äußern, welchen Scheiß er verzapft.
    Ich sang, ich trank, ich unterhielt mich über Unterschiede innerhalb der Unterschicht und was es bedeutet, nicht schreiben zu können, während man mit den Augen nicht das sieht, was man mit dem Herzen begehrt.
    Irgendjemand nickte, hatte aber einen Scheiß verstanden. Irgendjemand nickt ja immer, als Zeichen der Anerkennung oder als Symbolik der Tatsache, dass man zwar zu besoffen zum Artikulieren, nicht aber zum Zuhören ist. Irgendjemand hatte also einen Scheiß verstanden. Ich hab ja auch nur einen Scheiß erzählt, wie hätte irgendjemand da Gelegenheit haben sollen, etwas anderes als einen Scheiß zu verstehen.
    Sechs Uhr morgens. Ein Taxi, das Taxi zurück, dieses Mal hatte ich immense Lust, da einfach reinzukotzen. Wir fuhren langsam ab vom Ort des Geschehens. Da saßen noch drei Mädchen mit drin, alle total laut und betrunken. Ich auch. Total laut und betrunken. Meine Lautstärke nervte mich, aber ich hätte ansonsten nicht mit den Schnapsmädchen kommunizieren können. Irgendwann hält das Taxi an, die Mädchen bleiben sitzen, auch nach mehrmaligem Nachfragen will keine noch einen Spaziergang machen. Letztendlich gut, wie soll man bei dem gestörten Gelaber entspannt spazieren gehen können. Dann bin ich zu Hause und froh, allein zu sein. Das Licht geht an, das Licht geht aus, draußen wird die Frequenz der Fahrzeuge leicht angehoben, Kinder schreien, von fern angedeutete Technobässe, die durch die Atmosphäre in mein Zimmer gleiten.
    Als ich am nächsten Nachmittag aus dem Bett kroch, hatte mein Kopf kein Mehrfachformat, sondern er war lediglich langsam. Slowhead. Ich hatte mir ein Zeitlupengehirn angetrunken. Ich schleppte mich in die Küche, wo ich begann, mir Kaffee und Nudeln zu machen, im Nebenzimmer machte ich wie selbstverständlich dumm den Fernseher an, und aus dem TV-Möbel wuchs die Wahrheit ins deutsche Wohnzimmer: Wir waren Weltmeisterin. Jubelnde Fußballfrauen auf dem Fernsehbildschirm als viertelminütige Tagesschausequenz. Aber weil mein Gehirn ein Zeitlupengehirn war, dauerte der Feierwahn der bundesdeutschen Nationalmannschaftin eine gefühlte Minute. Da standen sie, irgendwo in Asien und umarmten sich und die Welt, diese krummbeinigen Frauen freuten sich die Östrogene strubbelig und die Kameras hielten voll drauf.
    Ich erwartete, dass jetzt auch hier vor meiner Tür ein nationales Feierchaos losbräche so wie 2006, als die Herrenmannschaft des Deutschen Fußballbundes nicht Weltmeister, nicht mal Finalteilnehmer, sondern nur Veranstalter der Herzen wurde oder so. Und sich alle beim Public Viewing die Vollkante gaben. Aber: nichts. Der Blick nach draußen gibt das gleiche Grau wieder, das sich da jeden Tag aufhält.
    Kein Autokorso, keine Fahnen, keine besoffenen Fahnenschwenker. Draußen hupte niemand. Niemand schrie: Deutschland!!! Oder Deutschländin, du bist die Schönste. Schade für die Weltmeisterinnen. Alles still da draußen und auch hier drinnen ...
    Okaye Leute? Nie gehört. Was soll das sein? Leute, die alles gut finden? Leute, die kein Kritikvermögen besitzen? Was sind das für Leute? Dazu kann ich nur sagen, dass ich das nicht weiß, weil das schon mal keine Bekannten, Freunde oder sonst was in meiner Umgebung sind. Aber sie sitzen mir gegenüber in Cafés und in
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