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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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tragen.
    Nachmittags wurde eine große Menge Wasser heiß gemacht. Wir badeten alle nacheinander in einer kleinen Wanne in der Küche. Danach zogen wir unsere Schabbatkleidung an.
    Der Tisch war prächtig gedeckt mit einer weißen Damastdecke und dem besten Geschirr und dem Silberbesteck meiner Großmutter. Am oberen Tischende standen zwei Kerzenständer, und bevor es dunkel wurde, zündete Großmutter die Kerzen an und sprach ein Gebet. Ihr Gesicht schien in dem warmen Licht der Flammen noch schöner zu werden. Papa und Mama legten nacheinander ihre Hände auf meinen Kopf und segneten mich. Ich küsste meine Eltern und Großeltern und wir alle sagten »Gut Schabbes« zueinander. Großvater hob das bestickte Deckchen hoch, das die Barches bedeckte, schnitt ein Stück ab, bestreute es mit Salz und sagte den Segen für das Brot. Dann bekamen wir auch ein kleines Stück und wiederholten seine Worte. Er hob einen silbernen Kelch, sagte den Segen für den Wein und trank. Auch wir bekamen einen Schluck und sprachen seine Worte nach. Dann wurde Hühnersuppe mit Nudeln hereingebracht, und Großmutter sagte »Mahlzeit«. Das Hauptgericht bestand üblicherweise aus Rindfleisch mit frisch geriebenem Meerrettich, Kartoffelsalat und grünem Salat.
    Da die Religion den Juden verbietet, am Schabbat zu fahren, gingen wir zu Fuß nach Göppingen, um dort am Gottesdienst in einem jüdischen Haus teilzunehmen, das nun als Synagoge diente. Die große Synagoge in Göppingen war in der Kristallnacht zerstört worden.
    Obwohl in Jebenhausen nur wenig vom Antisemitismus zu spüren war, hatten meine Großeltern die religiösen Bräuche immer nur vorsichtig ausgeübt. In der jüdischen Religion wird an Sukkot, dem Laubhüttenfest, an die vierzig Jahre dauernde Wanderung von Moses mit den Juden durch die Wüste erinnert. An diesem Fest wird eine symbolische Hütte, eine Sukka, aus Schilfrohr, Zweigen und Gras errichtet. Das Innere der Hütte wird mit bunten Ornamenten, Früchten, Gemüse und Herbstblumen geschmückt. Im Haus meines Groß-vaters wurde das Dach einer Mansarde abgetragen und das Zimmer in eine Sukka verwandelt. Obwohl von außen nichts zu sehen war, wagten wir nach dem Tod meines Großvaters nicht mehr, die-ses Fest in der Sukka zu feiern, auch nicht auf diese heimliche Art.
    Jeden Tag wurden neue einschränkende Bestimmungen erlassen. Juden mussten alles Gold und Silber abliefern. Sie mussten ihrem Namen den Vornamen Israel oder Sara hinzufügen. Ich hieß danach Inge Sara Auerbacher. Einige Bewohner von Jebenhausen ließen sich von diesen antisemitischen Gesetzen nicht abschrecken und hielten an ihrer Freundschaft mit uns fest, obwohl den Christen der Umgang mit Juden verboten war. Einige Bauern versorgten uns auch weiterhin mit Lebensmitteln.
    Unsere geliebte christliche Freundin Therese, die über zwanzig Jahre lang als Dienstmädchen im Haus meiner Großeltern gearbeitet hatte, stellte nachts Essen hinter den Grabstein meines Großvaters, damit wir es uns morgens holen konnten. Es gelang ihr auch, einige unserer Besitztümer bis nach dem Krieg aufzuheben, unter anderem zwei Alben mit Familienfotos und einige Gebetbücher. Die Bilder in diesem Buch gehören zu dem, was sie für uns aufbewahrt hat. Die Leute, die uns halfen.
    riskierten dadurch ihr Leben. Sie bewiesen sehr viel Mut.
    Jüdische Kinder durften normale Schulen nicht mehr besuchen. Ich musste zu Fuß drei Kilometer nach Göppingen gehen und dann eine Stunde mit dem Zug nach Stuttgart zur Schule fahren. Das war die einzige jüdische Schule in der Gegend. Für diese Fahrt brauchte ich eine Sondererlaubnis, denn Juden durften sich nicht mehr frei bewegen.
    Die Fahrt zur Schule wurde noch gefährlicher, als ab dem 1. September 1941 alle Juden den gelben Davidstern als Kennzeichen an ihrer Kleidung tragen mussten. Auf dem Stern stand das Wort »Jude« in nachgemachten hebräischen Buchstaben. Papa sagte mir, ich solle mich im Zug so hinsetzen, dass ich wie zufällig den gelben Stern verdeckte, obwohl es streng verboten war, das »Zeichen der
    Schande« zu verbergen. Das gelang mir nicht im-mer und die anderen Kinder verhöhnten und pie-sakten mich. Einigen Menschen tat ich jedoch Leid. Eines Tages ließ eine Frau eine Tüte mit Brötchen neben meinem Sitz liegen. Sie muss Mitleid mit dem kleinen, sechsjährigen jüdischen Mäd-chen gehabt haben, das ganz allein eine so lange Fahrt zurücklegen musste.
    Eines Morgens bemerkte ich eine Gruppe ärm-lich gekleideter
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