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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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verdienten ihren Lebensunterhalt als Viehhändler, ein Beruf, der in Süddeutschland von vielen Juden ausgeübt wurde. Papas Großvater hatte das große Haus gekauft, in dem Papa und ich geboren worden sind. Es war ein Haus mit einer besonderen Geschichte und geschmückt mit einer Tafel mit folgender Inschrift: Geburtshaus Unseres Großen Wohltäters Johann Georg Stulz von Ortenberg, 1771-1832. Stulz war ein Schneider gewesen, der in England zu
    Papa als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg
    Namen und Reichtum gelangt war. Es gab auch ein Stulz-Denkmal. Eines meiner Lieblingsspiele als Kind war, um das Denkmal in Kippenheim herumzulaufen, das von allen zärtlich Türmle genannt wurde.
    In Kippenheim lebten viele Auerbachers und wir waren alle miteinander verwandt. Mama war in Jebenhausen geboren worden, einem noch kleineren Dorf etwa zweihundert Kilometer entfernt. Ihr Vater war ebenfalls Viehhändler gewesen. Papas Eltern waren ein paar Jahre vor seiner Hochzeit mit Mama gestorben. Drei seiner verheirateten Schwestern lebten in anderen Teilen Deutschlands, die vierte in Frankreich. Zwei Schwestern hatten je zwei Kinder. Das waren meine älteren Vettern und Kusinen Hella, Werner, Heinz und Lore. Mamas einziger Bruder war ebenfalls verheiratet und lebte ein paar Stunden von uns entfernt.
    Berthold Auerbach (eigentlich hieß er Moses Baruch Auerbacher), ein Mitglied meiner Familie, war im 19. Jahrhundert einer der beliebtesten deutschen Volksschriftsteller gewesen und seine Geschichten vom Schwarzwald hatten ihn weltbekannt gemacht.
    Papa besaß ein großes schwarzes Auto und ich fuhr sehr gerne damit. Ich fühlte mich als etwas Besonderes, wenn ich neben ihm sitzen durfte. Vor allem liebte ich die langen Fahrten, wenn wir meine Großeltern in Jebenhausen besuchten.
    Wir waren eine glückliche Gemeinde in Kippenheim, bis der Frieden unseres ruhigen Dorfes zerstört wurde. Am 9. November 1938 fanden in ganz Deutschland heftige Krawalle gegen die Juden statt. Dieses Ereignis wurde Kristallnacht genannt und markiert den Beginn des Terrors, der sieben Jahre anhalten sollte und in dem sechs Millionen Juden ermordet wurden.
    Ich war damals noch nicht einmal vier Jahre alt.
    Meine Geschichte
    Ich erinnere mich noch gut an den Novembertag im Jahr 1938, als Papa und Großvater in das Konzentrationslager Dachau geschickt wurden. Es war am Tag nach der so genannten Kristallnacht. Großmutter und Großvater waren gerade bei uns in Kippenheim zu Besuch und erlebten zusammen mit uns den unvergesslichen Schrecken.
    Es war ein kalter Morgen. Großvater war früh aufgestanden, um am Morgengottesdienst in der Synagoge teilzunehmen. Wir anderen wurden aus unserem friedlichen Schlaf durch ein lautes Klopfen an der Haustür geweckt. Es war die Polizei. Sie brachten eine Vorladung für meinen Vater, er solle sich sofort im Rathaus melden. »Alle jüdischen Männer sind jetzt verhaftet«, sagten sie. Großvater war in der Synagoge von seinen Gebeten weggerissen und festgenommen worden und zusammen mit allen anderen jüdischen Männern aus Kippenheim wurden Papa und Großvater mit dem Zug in das Konzentrationslager Dachau gebracht.
    Sie erzählten uns später, wie sie durch das Tor mit der verlogenen Aufschrift »Arbeit macht frei« gehen mussten. Doch Dachau war kein Arbeits-
    lager, sondern ein Ort der Folter und der Qual. Die Gefangenen mussten alle ihre Sachen ausziehen und von nun an die blau-weiß gestreifte Konzentra tionslagerkleidung tragen. Papa und Großvater wurden in der Baracke 16 untergebracht, wo sie zusammengedrängt mit vielen anderen, auf Stroh matratzen auf dem Fußboden schliefen.
    Jeden Morgen mussten sie zum Appell erschei nen und in der schlafanzugähnlichen Uniform stun denlang in der bitteren Kälte stillstehen. Wenn ein Häftling auch nur versuchte, sich während des Ap pells die Nase zu putzen, wurde er angeschrien geschlagen oder mit eiskaltem Wasser abgespritzt. Auch Papa musste das einmal erleiden.
    In Kippenheim waren nur die Frauen und Kinder der jüdischen Familien zurückgeblieben. Sie waren schutzlos den Steinwürfen der randalierenden jungen Burschen und Männer ausgeliefert, die an diesem schrecklichen Tag wild schreiend durch die Straßen rannten. Nicht ein jüdisches Haus blieb unberührt.
    Ich erinnere mich genau an das Geräusch von splitterndem Glas. Mama und unser christliches Dienstmädchen liefen ins Wohnzimmer, um zu sehen, was passiert war. Neugierig folgte ich ihnen. Überall auf dem Fußboden
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