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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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wurden eng zusammengedrängt. Bewa-cher versiegelten den Zug und fuhren mit uns mit, um sicher zu sein, dass niemand entkäme. Wir frag-ten uns, ob wir unser Zuhause je wieder sehen würden. Je weiter der Zug nach Osten fuhr, desto mehr veränderte sich die Landschaft und wurde immer weniger vertraut. Die Bahnhöfe trugen seltsam klingende Namen und die Buchstaben hatten fremdartige Betonungszeichen. Wir hatten schon Inst unseren ganzen Proviant aufgegessen, den wir hatten mitnehmen dürfen. Doch weiteres Essen wurde nicht verteilt, außer ein bisschen Wasser. Ich
    hatte Angst, war verschreckt und der Bauch tat mir weh.
    Zwei Tage später beendeten laute Rufe unsere Fahrt. Wir kamen am Bahnhof von Bohusovice an. »Alles wegwerfen, außer der Bettrolle und dem Essgeschirr - los, marschieren, kein Widerstand!« Wachleute mit Peitschen und Gewehren umringten uns. Wir waren alle müde und hatten Angst. Ein paar alte Leute, die nicht mehr so gut auf den Beinen waren, stürzten. Ihre Hilfeschreie erfüllten die
    Luft. Viele von ihnen starben auf dem Weg. Meine Eltern gingen jeder auf einer Seite von mir, um mich vor Schlägen zu schützen. Ich hielt meine Puppe fest im Arm. Wir gingen ungefähr drei Kilo-meter und wurden durch einen Bogeneingang in eine große Kaserne getrieben. Dann waren hohe Mauern um uns.
    Ein Ort der Finsternis
    Unser Ziel war Theresienstadt, ein Konzentrationslager in der Tschechoslowakei, ungefähr sechzig Kilometer nördlich von Prag. Theresienstadt war 1780 von dem Habsburger Kaiser Joseph II. im Angedenken an seine Mutter, die Kaiserin Maria Theresia, erbaut worden. Die Garnison war von den Militärs in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verlassen worden und Zivilisten hatten sich in ihr niedergelassen. Sie befand sich inzwischen in einem sehr schlechten Zustand.
    Am 10. Oktober 1941 hatten Reinhard Hey-drich, Adolf Eichmann und andere hochrangige Nazigrößen Theresienstadt als Durchgangslager für Juden vor ihrer Vernichtung im Osten bestimmt. Die Nazis tarnten das Lager für Propagandazwecke als »Musterghetto«. Die ersten Juden, die im November 1941 dort hingeschickt wurden, stammten aus der Tschechoslowakei. Ihnen folgten ältere Leute aus Deutschland und Österreich, von denen man annahm, sie würden ohnehin nicht mehr lange leben. Unter ihnen waren viele prominente Ärzte und Rechtsanwälte, mit Orden ausgezeichnete Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Welt-
    krieg und bekannte jüdische Führer wie der Rabbi-ner Leo Baeck aus Deutschland. Ihre sofortige De-portation zu den Vernichtungslagern im Osten hätte Verdacht hervorgerufen. Schließlich kamen in Theresienstadt Juden jeden Alters an, aus Öster-reich, den Niederlanden, Dänemark und anderen europäischen Ländern, auch Menschen aus gemischten christlich-jüdischen Familien.
    Ich erinnere mich an einen Transport von mindestens tausend Kindern aus Polen im Sommer 1943. Sie waren in Lumpen gekleidet und alle sehr abgemagert und schmutzig, viele von ihnen krank. Die SS befahl ihnen, in einem bestimmten Teil von
    Theresienstadt in Quarantäne zu bleiben. Gerüchte verbreiteten, dass sie aus Bialystok in Polen kämen, wo sie hätten zusehen müssen, wie man ihre Eltern vor ihren Augen erschoss. Kurze Zeit später wurden sie in die Gaskammern in Auschwitz geschickt.
    Theresienstadt bestand aus riesigen Backsteinkasernen, unterirdischen Zellen und alten, halb zerfallenen Häusern. Es war von der Außenwelt durch hohe Mauern, tiefe, wassergefüllte Gräben, Holzzäune und Stacheldraht völlig abgeschlossen. Die Verbindung nach draußen durch Radio, Telefon und Zeitungen war streng verboten. Bei seltenen Gelegenheiten sickerten jedoch Bruchstücke von Kriegsnachrichten ins Lager. Diese Gerüchte wurden »Latrinengespräche« genannt, weil die Gefangenen auf der Latrine, also auf der Toilette, Nachrichten austauschten. Die Geschichten veränderten sich oft in ihrem Inhalt, während sie sich im Lager verbreiteten.
    Obwohl es verboten war, Kinder auf die Welt zu bringen, wurden doch einige hundert Kinder in den drei Jahren geboren, in denen ich in Theresienstadt war. Dieses Gesetz zu brechen bedeutete für beide, Mutter und Kind, normalerweise die sofortige Deportation in den Osten. Trotzdem hat wunderbarerweise eine Hand voll dieser Babys den Krieg und Theresienstadt überlebt.
    Theresienstadt war ursprünglich für 7000 Men-schcn erbaut worden, doch manchmal wurden im Lager 60000 Gefangene zusammengepfercht. Ein jüdischer Ältestenrat
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