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Viscount und Verfuehrer

Titel: Viscount und Verfuehrer
Autoren: Karen Hawkins
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1. KAPITEL
    Gute Manieren sind nicht unbedingt ein Beweis für eine gute Abstammung. Merkwürdigerweise gilt dies sowohl für Gentlemen als auch für Pferde.
    Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
    Alles begann mit Lady Findercombes mächtigem Busen.
    Nachdem sie weder mit einer vornehmen Herkunft noch mit Schönheit gesegnet war, sah Miss Lucilla Trent es mit Entzücken, als sie im zarten Alter von sechzehn Jahren eine Figur entwickelte, die man nur als „überaus weiblich“ bezeichnen konnte.
    Lucilla, die für romantische Gefühle nicht viel übrig hatte, war hocherfreut, als diese weibliche Figur die Aufmerksamkeit des alten Lord Findercombe erregte. Der verlebte alte Junggeselle war so verzückt, dass er alle Vorsicht in den Wind schlug und um Lucillas Hand anhielt. Dabei focht ihn weder die mangelnde Mitgift an noch dass sie auf dem linken Auge schielte.
    Mr. und Mrs. Trent waren natürlich begeistert. Selbst wenn Lucilla Lord Findercombe alt und langweilig fand, so verfügte der Bräutigam doch über gute Verbindungen, wurde überallhin eingeladen und stattete sie großzügig mit Nadelgeld aus. Viele meinten, sie seien das perfekte Paar.
    Nach der Heirat überschüttete Lord Findercombe seine Frau mit schweren Broschen und Halsbändern, die ihre schönsten Attribute betonten. Die Kombination von üppigem Busen und glitzernden Juwelen war in der Gesellschaft bald ein wohlvertrauter Anblick.
    Alles war gut - bis zum großen Ball der Hearsts, der jedes Jahr zwei Wochen vor Saisonbeginn stattfand. Das Anwesen der Hearsts lag einen halben Tagesritt von London entfernt, und so bot sich das Ereignis für die creme de la creme der Gesellschaft als ideale Station auf der Rückreise in die Stadthäuser an.
    Inzwischen war der Ball schon Tradition geworden, in den großen Salons und dem eindrucksvollen Ballsaal drängten sich die Gäste. Jedes Jahr eilte Lady Hearst von Gast zu Gast und sammelte und verteilte den Klatsch, gleich einer Biene, die einen bunten Garten bestäubt.
    Der große Ball der Hearsts galt normalerweise als Musterbeispiel einer gut geplanten und durchweg unterhaltsamen Veranstaltung, eine Tatsache, die Lady Hearst ungemein freute. Dieses Jahr jedoch klappte nicht alles wie geplant, im Gegenteil: Binnen einer Stunde drohte der Ball aus dem Ruder zu laufen.
    Das wunderbare Orchester, das Lady Hearst engagiert hatte, litt an Fieber, so dass sie im letzten Augenblick ein kleines Quartett aus dem Ort verpflichten musste, das sich kaum für einen großen, übervölkerten Ballsaal eignete. Danach bemerkte sie, dass die langen Stoffbahnen, mit denen sie den Ballsaal hatte ausschmücken lassen, einen merkwürdig muffigen Geruch verströmten, was sie allerdings erst dann entdeckte, als es schon zu spät war, sie wieder abzunehmen. Doch die schlimmste Katastrophe betraf das Eis.
    Wegen des ungewöhnlich milden Wetters war es in der großen Eingangshalle wärmer als üblich gewesen, und so war all das wunderbare Eis, das sie extra aus London hatte kommen lassen, noch vor Ankunft des ersten Gastes dahingeschmolzen. Und dabei hatte sie sich so auf dieses Eis ge-freut: Die einzelnen Portionen waren wie Admiral Nelson an Bord der Victory geformt, zu Ehren der glorreichen Schlacht von Trafalgar, die zurzeit in aller Munde war.
    Und nun schmolzen Hunderte von kleinen Admirälen vor sich hin. Schlimmer noch: Der Arm mit dem Degen, den er drohend gegen die Kehle eines verängstigten Franzosen gerichtet hatte, war ganz abgefallen und ruhte nun auf dem Gesicht des bezwungenen Gegners, was dem Ganzen eine etwas kannibalistische Note verlieh.
    Der echte Admiral Nelson hatte im Krieg tatsächlich einen Arm verloren, und nun befürchtete Lady Hearst, ihre Gäste könnten sie für unsensibel oder gar für unpatriotisch halten. Ihre Ängste stellten sich als durchaus berechtigt heraus, denn im Lauf des Abends ertappte sie nicht eine, sondern gleich drei gehässige Damen dabei, wie sie sich dergleichen zuflüsterten.
    Der Ball war insgesamt gut besucht, also kein kompletter Reinfall, doch die Stimmung erschien zäh und lustlos. Die Gäste langweilten sich, und das war das Schlimmste, was einer Gastgeberin passieren konnte, schlimmer noch als eine Feuersbrunst oder ein tödlicher Unfall. Das hätte zumindest interessanten Gesprächsstoff abgegeben.
    In diese teilnahmslose Atmosphäre platzten nun Lord und Lady Findercombe. Es war schon nach Mitternacht, und Lady Hearst hatte ihren Platz
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