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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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Männer im Zug. Sie wurden von einem deutschen Soldaten bewacht und müssen Kriegsgefangene gewesen sein, die zur Zwangsarbeit gebracht wurden. Ich war neugierig und versuchte, ihren Gesprächen zuzuhören. Sie sprachen eine fremde Sprache und ich verstand kein Wort. Der Bewacher öffnete ein Essgeschirr und reichte es dem Gefangenen neben ihm, der sofort einen Löffel voll daraus nahm. Das Essgeschirr machte die Runde unter den anderen Gefangenen. Jeder nahm seinen Teil. Die Männer sahen dünn aus und schienen sehr hungrig zu sein. Sie taten mir Leid, und ich fragte mich, wohin sie wohl fuhren und welche Arbeit sie verrichten mussten.
    Die »Endlösung«, der Plan der Nazis, alle Juden in Europa zu vernichten, begann für uns 1941.
    Gerüchte über unsere »Umsiedlung« waren Tagesgespräch. Viele Juden machten verzweifelte Anstrengungen, Deutschland im letzten Moment zu verlassen, doch vergeblich. Alle Grenzen waren uns verschlossen.
    Die Deportationen nach dem »Osten« begannen Ende 1941. Eines Morgens bekamen meine Großmutter, meine Eltern und ich den Transportbefehl. Vater war Kriegsversehrter des Ersten Weltkriegs und benutzte diese Tatsache für die Bitte, dass wir verschont würden. Für uns gelang es ihm, doch meiner Großmutter konnten wir nicht helfen. Sie und die meisten meiner Klassenkameraden wurden nach Riga in Lettland deportiert.
    Ich werde nie den tränenreichen Abschied vergessen, als wir Großmutter nachschauten, wie sie die Stufen des Stuttgarter Bahnhofs hinunterging, bis sie unseren Blicken entschwunden war. Ich sah sie nie wieder. Fast alle dieser unglücklichen Menschen wurden Opfer der »Einsatzgruppen« in einem Wald bei Riga. Sie mussten sich ihre eigenen Gräber graben, bevor sie erschossen wurden.
    Wir mussten das Haus meiner Großeltern in Jebenhausen verlassen und wurden in einem der »Judenhäuser« in Göppingen einquartiert. Meine Eltern mussten für einen sehr geringen Lohn in einer Kor-sertfabrik arbeiten. Meine Schule in Stuttgart wurde geschlossen, bevor ich die erste Klasse beenden konnte.
    1941 bekamen wir den Schrecken des Krieges täglich zu spüren. Nachts wurden wir oft vom Heulen der Sirenen geweckt, die mich immer sehr erschreckten. Die meisten Bomben der Alliierten fielen damals jedoch weit entfernt von dort, wo wir lebten.

    a Inder aus den »Judenhäusern« in Göppingen. Mur ich (mit der gestreiften 1 IUt :e) habe den Krieg überlebt
    Schließlich waren auch wir dran. Am 22. August 1942 wurden wir deportiert. Es gab keine Möglichkeit mehr, dem Transport zu entkommen. Ich war nun die Nummer XIII-1-408, eine Person ohne Staatsbürgerschaft. Wir packten unsere wenigen Habseligkeiten zusammen und folgten den sehr genauen Anweisungen, die wir erhalten hatten. Alles Geld wurde uns abgenommen. Die Polizei kam in die Wohnung. Mama wurde befohlen, die Schlüssel auf dem Esstisch zu hinterlassen. Dann sagte der Beamte: »Jetzt können Sie gehen.«
    Wir wurden in der Turnhalle der Schillerschule in Göppingen zusammengepfercht und durchsucht. Meine größte Angst war, dass mir ein SS-Mann meine Puppe Marlene abnehmen würde. Sie war ein Geschenk meiner Großmutter, das einzige Erinnerungsstück, das ich an sie hatte. Die Beamten zogen Marlenes Kopf hoch, um zu sehen, ob irgendwelche Wertsachen in ihrem hohlen Körper versteckt wären, doch schließlich ließen sie mir die Puppe. Mit einem hölzernen Anstecker hatte ich jedoch nicht so viel Glück. Ein SS-Offizier fand Gefallen daran und riss ihn mir ab. »Das brauchst du dort nicht mehr, wo du hingehst!«, schrie er mich an. Den hölzernen Holländerjungen hatte mir Mama geschenkt und liebevoll angesteckt. Ich wehrte
    mich, doch die klauenartigen Hände des ungeduldi gen Mannes waren stärker. Wusste er, wo ich hinge bracht werden sollte? Ich grüble oft, wer diesen Anstecker wohl bekommen hat. Hätte sich ein an
    deres Mädchen wohl darüber gefreut, wenn es von mir gewusst hätte? Oder war dieses Stück meiner Vergangenheit einfach weggeworfen worden?
    Von Göppingen wurden wir nach Stuttgart ge-bracht, wo sich der Hauptsammelplatz für Juden befand, die deportiert werden sollten. Ich war die Jüngste von den fast zwölfhundert Menschen die-ser Gruppe. Wir waren in einer großen Halle am Killesberg untergebracht, in der normalerweise Blumenausstellungen stattfanden. Zwei Tage schliefen wir dort auf dem nackten Fußboden.
    Früh am Morgen wurden wir mit Lastwagen zu dem wartenden Zug im Stuttgarter Bahnhof gebracht. Wir
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