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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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lebten, unser Leben zu verlieren, führten diese Menschen nur ein paar hundert Meter von uns entfernt ein Leben in Luxus.
    Als die Typhusepidemie abgeklungen war, machten sich ein paar der Überlebenden auf, das Lager zu Fuß zu verlassen. Die meisten wussten nicht, wohin sie gehen sollten oder wer ihnen wei terhelfen würde. Anfang Juli 1945 kam schließlich ein Bus aus Stuttgart, der unsere kleine Gruppe, die ursprünglich aus Württemberg gekommen war, abholte. Von ungefähr zwölfhundert Menschen lebten noch dreizehn. Drei davon waren meine Mutter, mein Vater und ich.
    Unser Bus verließ das Lager, und bald fuhren wir durch Städte, die durch den Bombenhagel völlig zerstört waren. Die einstmals majestätische Stadt Dresden bestand fast nur noch aus Schutt. Wo immer wir anhielten, scharten sich neugierige Menschen um unseren Bus. Ein kleines Mädchen drückte mir ein Püppchen in die Hand und wollte, dass ich es zur Erinnerung an sie behalte.
    Nach einigen Tagen Fahrt erreichten wir das Lager für Vertriebene in Stuttgart. Hier erhielten wir unsere erste gute Mahlzeit. Ich erinnere mich noch genau an den wunderschön gedeckten Tisch mit der weißen Tischdecke. Noch jetzt kann ich den Geschmack der Nudelsuppe spüren, die ich ganz langsam aß, um jeden einzelnen Löffel voll zu genießen. Nie wieder in meinem Leben hat mir eine Suppe so gut geschmeckt.
    Wir blieben nur eine Woche in diesem Lager, das speziell für zurückkehrende Juden eingerichtet worden war, denn wir wollten so schnell wie mög-lich zum Haus meiner Großmutter. Wir hofften, sie würde noch leben und uns dort erwarten.
    Als wir in Jebenhausen ankamen, erfuhren wir die schreckliche Wahrheit. Großmutter hatte nicht überlebt. Dreizehn Angehörige unserer Familie hatten in diesen schlimmen Jahren das Leben verloren. Unsere einzige Hoffnung war noch, unsere geliebte Freundin Therese wieder zu sehen. Doch zu unserem Entsetzen war sie ebenfalls umgekommen. Als die amerikanischen Soldaten ins Dorf gekommen waren, hatten sie viele Häuser nach Waffen durchsucht. Therese hörte das Klopfen an der Tür, machte aber nicht auf, da sie um ihr Leben fürchtete. Sie blieb hinter der geschlossenen Tür stehen. Schließlich schoss ein ungeduldiger Amerikaner durch die Tür. Sie war auf der Stelle tot.
    Die neuen Besitzer von Großmutters Haus stellten uns ein Zimmer zur Verfügung. Als Großmut ter 1941 nach Riga deportiert worden war, war uns das Haus genommen worden, und wir hatten den Befehl erhalten, in die »Judenhäuser« in Göppin gen zu ziehen. Eine christliche Familie hatte da mals die Erlaubnis erhalten, Großmutters Haus zu übernehmen.
    Unsere Rückkehr nach so vielen Jahren wurde mit einer Vase voller Feldblumen gefeiert, die auf dem Tisch stand. Die neuen Besitzer versuchten, unseren Schmerz zu lindern. Eines Tages brachte uns jemand eine große Schüssel mit Schlagsahne, Mama und ich schlangen sie in uns hinein, bis uns schlecht wurde. Die Jahre des Hungers hatten ihren Tribut gefordert; unsere Mägen konnten diese reichhaltige Nahrung nicht mehr vertragen.
    Wir fanden bald eine dauerhafte Unterkunft in Göppingen. Der Bürgermeister lud uns ins Rathaus ein. Als wir dort sein Bürozimmer betraten, fiel Mama sofort der Orientteppich auf: Es war unserer. Auch die Standuhr hatte einen vertrauten Klang. Sie hatte ebenfalls uns gehört. Nach unserer Deportation nach Theresienstadt war unsere gesamte Habe an verschiedene christliche Familien verteilt worden. Einiges davon hatte seinen Weg ins Rathaus gefunden.
    Die Bewohner der Stadt, die sich vor unseren Vergeltungsmaßnahmen fürchteten, behaupteten hartnäckig, sie hätten von dem Grauen, das wir er leben mussten, nichts gewusst. Sie sagten, sie hät-ten die Juden nie gehasst und seien deshalb nicht schuldig an irgendwelchen Verbrechen. Warum hatten sie sich dann damals nicht nach dem Schick-sal so vieler unschuldiger Menschen erkundigt, die so brutal weggeschleppt worden waren?
    Unser Haus wurde für die amerikanischen Be-satzungssoldaten ein vertrauter Ort. Sie überschüt-teten uns mit Geschenken und Süßigkeiten. Einige rannten mit ihrer schmelzenden Eiscreme zu unserem Haus, um mir etwas Besonderes zukommen zu lassen.
    Soweit ich weiß, war ich das einzige jüdische Kind aus Württemberg, das überlebt hatte. Mein elfter Geburtstag war eine Sensation. Ich wurde ins örtliche Hauptquartier der UNRRA eingeladen, der United Nations Relief and Rehabilitation Administration, einer Art
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