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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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lag zerbrochenes Glas. Als das Dienstmädchen die Verwüstung sah, bekam sie Angst und verließ rennend unser Haus.
    Wir hörten, wie einer der jungen Rowdys sagte: »Der Kronleuchter hängt noch. Los, den müssen wir kriegen!« Auch als sie ihr Ziel getroffen hatten, hörten sie nicht auf. Ein großer Ziegelstein flog durch das bereits zerbrochene Fenster dicht an meinem Kopf vorbei. Mama hatte mich gerade noch rechtzeitig weggezogen. Sie spähte aus dem Fenster und sah voller Entsetzen, dass die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten von der Spitze unserer Synagoge geworfen wurden. Mama und Großmutter packten mich an der Hand, wir flohen aus dem Haus und suchten Sicherheit in der Scheune im Hinterhof.
    Draußen war überall lautes Getöse. Wir hörten, wie an das große Hoftor gehämmert wurde, und fürchteten, der Mob würde das Tor aufbrechen und uns finden. In der Dunkelheit der Scheune drängten wir uns dicht aneinander. Plötzlich wurde es still. Wir warteten noch einige Stunden in unserem Versteck. Erst als es dunkel war, verließen wir die Scheune und verbrachten die Nacht im Haus jüdischer Nachbarn. Auch dort war alles mit Glasscherben übersät.
    Ein Mitglied der SA, der Sturmabteilung, klopfte am frühen Morgen an die Tür. »Hier sind die Kragen und Krawatten von euren Männern«, sagte er. Mama bekam fürchterliche Angst und fragte: »Leben sie noch?« Der SA-Mann antwortete: »Das weiß doch ich nicht.«
    Angst und Trauer erfasste die verzweifelten Frauen. Mama und Großmutter beschlossen, in unser Haus zurückzugehen. Die Synagoge war schwer zerstört, alle Schaufensterscheiben von jüdischen Geschäften waren zerbrochen. Der Sturm war vorbei, doch eine unheimliche Stille lag über allem. Keiner unserer christlichen Bekannten zeigte Mitleid mit unserer schrecklichen Lage.
    Alle Fenster mussten mit Brettern vernagelt werden, um den kalten Novemberwind abzuhalten. Die Läden waren geschlossen. Das zerbrochene Glas wurde sorgfältig entfernt und die neuen Fenster mussten von den jüdischen Hausbesitzern selbst bezahlt werden.
    Wie dankbar waren wir, als Vater und Großvater ein paar Wochen später wieder nach Hause kamen. Sie sprachen nur leise darüber, wie sie dort, an diesem schrecklichen Ort, geschlagen und misshandelt worden waren. »Das Kind soll solche Sachen nicht hören.« Bald danach wurde Papa sein Textil-geschäft weggenommen.
    Es war Zeit, Deutschland zu verlassen. Aber wo hätten wir hingehen sollen? Die meisten Länder der freien Welt hatten ihre Tore vor uns verschlossen. Im Mai 1939 packten wir unsere Sachen und verkauften unser Haus. Wir verließen das Dorf und zogen zu meinen Großeltern nach Jebenhausen. Dieser Aufenthalt sollte nur vorübergehend sein, denn wir hofften noch immer, einen Weg zu finden, Deutschland zu verlassen. Großvater starb bald an gebrochenem Herzen. Seine Krankheit und die Enttäuschung über das Land, das er liebte, waren zu viel für ihn.

    Trotz allem, was passiert ist, gehen einige meiner glücklichsten Kindheitserinnerungen auf die zwei Jahre zurück, die wir in Jebenhausen verbracht haben. Meine Großeltern und wir waren die einzige jüdische Familie, die noch in diesem Dorf von ungefähr zwölfhundert Einwohnern geblieben war. Die Kinder waren freundlich zu mir und gaben mir nie das Gefühl, abgelehnt zu werden. Ich wurde zu ihrer Anführerin, wenn wir durch die Straßen zogen und die Schlager jener Zeit sangen, die oft voller Nazipropaganda steckten. Der damalige Wahnsinn war ansteckend. In unserer kindlichen
    Unschuld verstanden wir die Bedeutung dieser Lieder nicht.
    Ich erinnere mich an die besonderen Vorbereitungen für Schabbat und unsere Feiertage. Der jüdische Schabbat fängt freitags mit dem Sonnenuntergang an und endet am Samstagabend. Schabbat ist ein Tag der Ruhe und des Gebets und Freunde und Bekannte besuchen einander.
    Großmutter und ihr Dienstmädchen Therese bemühten sich immer sehr, dass das Haus am Schabbat gründlich sauber war. Sie bereiteten mindestens zwei Kuchen vor und aus dem gleichen Teig außerdem zwei »Barches«. Das ist ein besonderes Weiß-brot, ein mohnbestreuter Zopf, der an Schabbat und anderen Feiertagen gegessen wird. Da es im Haus keine Möglichkeit gab, Kuchen und Brot zu backen, mussten sie zum Bäcker gebracht werden. Ich
    erinnere mich, dass ich jeden Freitag einen Ku-chen in meiner eigenen kleinen Kuchenform ba-cken durfte. Stolz half ich, die Kuchen und das Brot die Straße hinunter zur Bäckerei Veil zu
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