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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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geschwächt. Die Todesrate, vor allem unter den Alten, war im
    Winter höher als sonst. Krankheiten wie Lungenentzündung bildeten die Spitze. Ärzte standen hilflos dabei, unfähig, den unglücklichen Kranken zu helfen, denn es gab kaum Medikamente im Lager. Wer könnte je das Benutzen der ungeheizten Latrinen vergessen, wo es so kalt war, dass sie von den Gefangenen ironisch Schi-Stand genannt wurden.
    Die einzige Erleichterung, die der Winter brachte, war der frisch gefallene Schnee. Für eine kurze Zeit bedeckte der weiße Teppich die Fäulnis und Hässlichkeit von Theresienstadt. Es war, als wäre der Schnee gefallen, um die dunklen Schatten dieses deprimierenden Ortes zum Verschwinden zu bringen.
    Schnee erinnerte mich an die wunderbaren Zei ten, als ich mit meinen Freunden in Jebenhausen mit dem Schlitten den Vorderen Berg hinunterge fahren war. Ich fragte mich, ob sie sich bei ihren El tern nach mir erkundigten, ob sie mich vermissten. Ich beneidete sie. Sie konnten sich ihre Wünsche erfüllen und Schneemänner oder Schneeburgen bauen, während meine Hauptsorge war, das Knurren meines hungrigen Magens mit einem Mund voll Suppe zu beruhigen.
    Es war unmöglich, von den mageren Portionen zu leben, die man durch die Essenskarte bekam. Man musste andere Wege finden, diese Rationen zu vergrößern. In einigen Kellern der Kasernen wurden Kartoffeln gelagert. Keiner durfte diese Schatzhöhlen mit ihren Kostbarkeiten betreten. Kartoffeln waren für uns so wertvoll wie Diamanten, doch nur die Küchenlieferanten durften diese Kleinodien berühren. Für jeden anderen war es streng verboten, die Keller auch nur zu betreten. Die Strafen, wenn man entdeckt wurde, waren streng. Entweder wurde man in die Kleine Festung gebracht, von der man wusste, wie brutal es dort zuging, oder man kam in den nächsten Transport nach dem un-bekannten Osten.
    Hunger macht mutig, und der Wille zu leben war
    so stark, dass einige Insassen das Risiko eingingen und in die Kartoffelkeller einbrachen. Das musste nachts geschehen, im Schutz der Dunkelheit. Doch nachts herrschte Ausgangssperre. Kein Mensch durfte sich am späten Abend im Freien aufhalten, wenn er nicht hart bestraft werden wollte. Die Ghettopolizei, eine jüdische Polizei, war gezwungen, die Gesetze der Nazi-Oberen durchzusetzen.
    Mama war sehr mutig. Nachts stieg sie durch eine schmale Fensteröffnung in den Kartoffelkeller der Dresdner Kaserne. Sie war jünger und gelenkiger als ihre Freundin, die draußen Wache stand. Mama füllte schnell einen kleinen Sack mit den kostbaren Kartoffeln, die sie später mit ihrer Freundin aufteilte. Die Kartoffeln mussten sorgfältig versteckt werden. Wir legten die unseren unter die Strohsäcke und schliefen darauf.
    Unsere Wohnquartiere wurden in bestimmten Zeitabständen kontrolliert. Besonders gefürchtet waren die Durchsuchungen durch deutsche Nazifrauen, die »Aufsehweiber«. Sie waren ganz besonders bösartig und unbarmherzig. Gerüchteweise hörten wir, dass eine solche Inspektion in unserem
    Quartier zu erwarten sei. Was sollten wir nun mit unseren Kartoffeln machen? Wir mussten einen si cheren Platz für sie finden.
    Papa hatte eine Idee. Er entdeckte einen alten Koffer auf dem Abfall, der, obwohl das Schloss ka putt war, noch seinen Zweck erfüllen konnte. Im Hof des Säuglingsheims, in dem mindestens vierzig Babys, meist Waisen, untergebracht waren, lag ein Haufen Lumpen, das wusste Papa. Und dort würde er seine kostbare Ladung verstecken. Die Lumpen würden als Isolierung gegen die bittere Kälte dienen und die Kartoffeln vor dem Frost schützen. Papa hatte bemerkt, dass die Lumpen seit einiger Zeit unberührt an derselben Stelle liegen geblieben waren, und hoffte, das würde auch noch eine kleine Weile so bleiben.
    Er entschloss sich, seinen Plan bei Nacht auszuführen. Der Mond war voll und sein Licht würde ihm den Weg zu dem geheimen Versteck leuchten. Sorgfältig legte er die Kartoffeln in den zerbeulten Koffer und hielt den Deckel fest zu. Frischer Schnee war gefallen. Es war sehr kalt und das Eis unter der neuen Schneedecke machte das Gehen schwierig. Papa rannte schnell los, wie ein Dieb in der Nacht, doch schon nach einigen Schritten rutschte er aus, der Koffer ging auf, die Kartoffeln kullerten heraus und lagen da wie Edelsteine im Schaufenster eines Juwelierladens. Im Licht des Mondes waren sie auf dem Schnee deutlich zu sehen.
    Papa sammelte sie alle hastig wieder zusammen, und es gelang ihm, sie unter dem Lumpen-haufen
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