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Jenseits von Gut und Böse

Jenseits von Gut und Böse

Titel: Jenseits von Gut und Böse
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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EINLEITUNG
 
    Das Böse ist eine Wahnidee, die zwar in unseren Köpfen herumspukt, für die wir in der Realität jedoch keine Entsprechung finden. Je genauer wir hinschauen, desto klarer erkennen wir: Gute und böse Menschen gibt es ebenso wenig wie gute und böse Katzen, Elefanten, Regenwürmer oder Delfine.
    Als ich diese zugespitzte These vor etwa einem Jahrzehnt auf einer philosophischen Tagung vortrug, blickte ich in einigermaßen verstörte Gesichter. Von Gott und Teufel hatte sich das philosophisch gebildete Publikum, vor dem ich referierte, zwar weitgehend verabschiedet, doch an der Unterscheidung von Gut und Böse meinte es unbedingt festhalten zu müssen.
    Und so stießen meine Argumente gegen das »moralische Schuldprinzip« auf hartnäckigen Widerstand – vor allem, als ich ausführte, dass sich auch Hitler und Stalin nicht aus »freiem Willen« für »das Böse« entschieden hatten. Dass die beiden Diktatoren, immerhin die Hauptverantwortlichen für die Abschlachtung von Millionen von Menschen, letztlich nur das tun konnten , was sie tragischerweise aufgrund ihrer jeweiligen Lebenserfahrungen tun mussten , war ein geradezu ungeheuerlicher Gedanke, den die meisten Zuhörer voller Entrüstung von sich wiesen. Wo kämen wir auch hin, wenn »derartige Bestien« moralisch entschuldigt würden?!
    Reaktionen wie diese sind verständlich. Denn unsere Gehirne wurden über Jahrhunderte hinweg auf der Basis von »Schuld und Sühne« und »Gut und Böse« programmiert. Dass man die Welt auch auf eine völlig andere Weise wahrnehmen könnte, kommt vielen Menschen gar nicht erst in den Sinn. Deshalb setzt sich derjenige, der den Versuch unternimmt, diese Denkmuster infrage zu stellen, der Gefahr aus, grob missverstanden zu werden. Nur zu leicht kann man ihm unterstellen, dass er die Gräueltaten Hitlers oder anderer Diktatoren legitimieren wolle. So war es nach meinem Vortrag vor ungefähr zehn Jahren und ich befürchte, dass derartige Fehlinterpretationen auch die Aufnahme des vorliegenden Buches begleiten werden.
    Dass ich trotz dieser Gefahr abermals den Versuch wage, eine menschenfreundliche Philosophie jenseits von Gut und Böse zu skizzieren, mag man als Ausdruck von Dickköpfigkeit interpretieren. Doch im Laufe der Jahre ist in mir die Überzeugung gewachsen, dass ein konsequenter Abschied vom moralischen Dreigestirn »Schuld – Sühne – Strafe« das Beste wäre, was uns passieren könnte. Friedrich Nietzsche sah in diesem Abschied sogar den »Fortschritt aller Fortschritte«. 1 Obgleich der »Philosoph mit dem Hammer« durchaus zu Übertreibungen neigte, mit dieser Einschätzung traf er voll ins Schwarze: In der Tat würde sich unser Verhältnis zur Welt in dramatischer Weise verbessern, wenn wir unsere altbackenen Moralvorstellungen endlich aufgeben könnten. Denn diese Vorstellungen haben uns summa summarum krank, kritikunfähig, selbstsüchtig und dumm gemacht.
    Verlieren würden wir durch den Abschied von Gut und Böse nichts, worauf wir nicht gut und gern verzichten könnten. Denn das traditionelle Gut-und-Böse-Schema hat uns im Kampf um eine humanere Gesellschaft keineswegs geholfen. Im Gegenteil! Hinter der moralischen Maske lauerte immer schon der blinde Instinkt der Rache. Die Belegung »des Fremden«, »des Abweichlers«, »des Gegners« mit dem »Signum des Bösen« erlaubte erst jene Eskalation von Gewalt, die sich wie ein blutroter Faden durch die Geschichte der Menschheit zieht.
    Ein Abschied von diesem archaischen Denkmuster würde uns – so eine der Hauptaussagen des vorliegenden Buches – nicht nur in ethischer Hinsicht stärken, er würde uns auch zu einer entspannteren Weltsicht verhelfen. Dieser Perspektivenwechsel würde unser Verhältnis zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen entkrampfen, ja, er hätte durchaus auch eine »spirituelle Dimension«: Denn was Gläubige tagaus, tagein in ihren Gebeten erflehen, die »Erlösung von dem Bösen«, liefert uns eine humanistische, rational-wissenschaftliche Weltsicht gewissermaßen »frei Haus«. Zu dieser »Erlösung« bedarf es nämlich keiner göttlichen Gnade, keines wie auch immer gearteten Beistands von oben, sondern lediglich einer kritischen Überprüfung unserer Annahmen über die Welt.
    Sie sind skeptisch? Gut so! Würde ich einen Text lesen, der derartige »Welterlösungsformeln« enthielte, würden auch bei mir sofort sämtliche Alarmsirenen ertönen. Aber ich darf Sie beruhigen: Ich habe ganz gewiss nicht vor, eine neue
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