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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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1.
    Die Wucht des Aufpralls war so heftig, dass die kleine Effie Afton , eigentlich Post- und Paketboot auf dem unteren Mississippi, beinahe in zwei Teile zerrissen wurde. Ihre Schornsteine knickten ab wie Streichhölzer, und – was schlimmer war – ihre Kessel barsten. In unheimlicher Geschwindigkeit breitete sich Feuer über das ganze Schiff aus. Der Besatzung, die sich ausnahmslos in die Boote rettete, blieb nur die Genugtuung, dass die Flammen binnen Minuten auch den Gegner der Kollision erfassten und zumindest die hölzernen Teile jener gigantischen Brücke der Chicago & Rock Island Railroad schneller verschlangen, als diese Gesellschaft ihren Namen in Chicago, Rock Island & Pacific Railroad ändern konnte.
    Die Bewohner von Davenport/Missouri und Rock Island/Illinois standen am Morgen dieses 6. Mai 1856 also schon wieder mit offenem Mund an den Ufern des Mississippi; denn das Feuer, das diese über fünfhundert Meter lange erste Eisenbahnbrücke über den Vater der Flüsse verschlang, war ein mindestens so grandioses Schauspiel, wie es ihre feierliche Einweihung am 22. April gewesen war. Damals, vor gerade zwei Wochen, hatten die Zeitungen des Ostens, etwa das Philadelphia Bulletin , triumphierend geschrieben, dass der Weg der Zivilisation von Ost nach West unwiderruflich beschritten sei und bald der glückliche Tag kommen werde, »an dem einer von uns ein Billett erster Klasse für einen Blitzzug Richtung Pazifikküste lösen wird«.
    Diesmal verbreitete sich das Triumphgefühl eher von Nord nach Süd, und die ganzen tausendfünfhundert Meilen den Mississippi hinunter ließen die Kapitäne freudig ihre Dampfpfeifen ertönen. Selbst auf dem Ohio entrollte – eigenartigerweise noch am gleichen Tag  – die Mannschaft eines Raddampfers ein riesiges Transparent
mit der Aufschrift: »Mississippibrücke zerstört  – Lasst alle frohlocken!«
    Der Eigner der Effie Afton beeilte sich, die Eisenbahngesellschaft auf Schadensersatz zu verklagen, und eine Expertenkommission aus Kapitänen, Lotsen und Schiffseignern aus St. Louis und New Orleans kam zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die Brücke ein ernsthaftes Hindernis für die Schifffahrt sei und nicht wieder aufgebaut werden dürfe. Politiker des Südens legten dem amerikanischen Kongress sogar flugs einen Gesetzentwurf vor, der den Bau von Brücken über schiffbare Flüsse grundsätzlich verbieten wollte.
    Spätestens jetzt wurde jedem nüchternen Beobachter klar, dass es nicht um Erwägungen zur Verkehrssicherheit, sondern um das Frachtmonopol ging; um Mais, Weizen, Schweinefleisch, Holz, den Reichtum des Mittleren Westens. Würde er weiterhin über die Flüsse nach Süden, nach New Orleans gelangen oder mit der Eisenbahn nach Osten, um in Chicago und New York umgeschlagen zu werden? Auch eine noch zukunftsweisendere Frage stand schon seit einigen Jahren im Raum: Sollte die früher oder später unvermeidliche transkontinentale Eisenbahn von den Nord- oder den Südstaaten ausgehen?
    Kaum hatte jedenfalls die Chicago & Rock Island Railroad Company vor zwei Jahren ihre Pläne zum Brückenbau bei Rock Island, also im Norden, publik gemacht, scharten sich die Männer des Südens um den einflussreichsten Fürsprecher ihrer Interessen, um den amerikanischen Kriegsminister Jefferson Davis 1 . Davis untersagte daraufhin kurzerhand die Errichtung des Bauwerks, da Rock Island früher einmal militärisches Territorium gewesen war, und erst ein umständlicher Gerichtsprozess führte zu dem Ergebnis, dass Eisenbahnen, ähnlich wie Flüsse und Kanäle, Verkehrsstraßen geworden seien und dass keiner der beiden Transportwege ein dauerndes Hindernis für den anderen werden dürfe.
    Unter Berufung auf genau dieses fortschrittliche Urteil und den eindrucksvollen Unfall der Effie Afton forderten deshalb die Schiffseigner des Südens den sofortigen Abriss der Brücke, respektive ihrer Ruine. Für den Schadensersatzprozess, mehr als zehn Monate später, verpflichtete die beklagte Eisenbahngesellschaft einen Rechtsanwalt aus Springfield/Illinois; einen Mann, der sich mit der Flussschifffahrt gut auskannte, weil er in seiner Jugend selbst Flöße nach New Orleans gesteuert hatte. Sein Name war Abraham Lincoln 2 .
    In den ersten Prozesstagen hatte dieser Anwalt, dem ein düsterer Backenbart und einige tiefe Gesichtsfalten eine gewisse Ähnlichkeit mit einem melancholischen Gorilla verliehen  – jedenfalls in den Augen seiner Gegner  –, hauptsächlich mit seinem
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