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Jenseits von Gut und Böse

Jenseits von Gut und Böse

Titel: Jenseits von Gut und Böse
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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die die biblische Legende mit einem historischen Tatsachenbericht verwechseln. Man denke nur an die 120   Millionen bibeltreuer US-Amerikaner, die felsenfest davon überzeugt sind, dass das Universum zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als die Mesopotamier schon das erste Bier brauten … 3
    Im weitgehend säkularisierten Westeuropa ist der Glaube an die reale Existenz von Adam und Eva jedoch nur noch selten anzutreffen. Die meisten Menschen haben in unserem Kulturraum den Erkenntnisfortschritten der letzten Jahrhunderte Tribut gezollt. Für sie ist der biblische Schöpfungsmythos nichts weiter als ein Stück Weltliteratur, vergleichbar etwa mit den Werken Homers, Shakespeares oder der Gebrüder Grimm. Das heißt natürlich nicht, dass dieser Mythos aus den Köpfen der Menschen verschwunden wäre, er ist weiterhin ein fester Bestandteil unserer Kultur.
    Man sieht das schon an recht profanen Dingen. Wo etwa wäre der Grafiker oder Werbefilmer, der auf die Gestalt des Apfels als Symbol der Verführung verzichten könnte? Die Bildmarke des verführerischen Apfels hat sich weltweit etabliert (auch Schneewittchen fiel nicht zufällig einem vergifteten Apfel zum Opfer!), obgleich in der Bibel von Äpfeln überhaupt nicht die Rede ist. (Dies wäre auch schwerlich möglich gewesen, gelangten diese Früchte doch erst im 20. Jahrhundert über den Importweg in den Nahen Osten, den Entstehungsort der biblischen Legende.) 4
    Die Umstände, die dazu führten, dass unsere mythologischen Urahnen ausgerechnet mit dem Genuss von Äpfeln assoziiert werden, verrät viel über die Art und Weise, wie »Meme« (kulturelle Informationseinheiten wie Ideen, Bilder, Melodien etc.) 5 entstehen und sich unter günstigen Bedingungen weltweit fortpflanzen können. Offenbar war es so, dass vor vielen Jahrhunderten ein uns heute unbekannter Geistlicher beim Lesen der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung, auf die (rein zufällige) Doppelbedeutung des Wortes malum stieß, das man sowohl mit »böse« als auch mit »Apfel« übersetzen kann.
    Zwar wird der Mann erkannt haben, dass es unsinnig ist, den Satz Eritis sicut deus, scientes bonum et malum (der Satz, mit dem die Schlange Eva verführt) mit »Ihr werdet sein wie Gott, wissend das Gute und den Apfel« zu übersetzen. Doch losgelöst von diesem direkten sprachlichen Kontext, scheint der anonyme Geistliche gedacht zu haben, endlich eine Möglichkeit zur Klärung der brennenden Frage nach der Beschaffenheit jener mysteriösen Frucht gefunden zu haben, welche Eva dank der Überzeugungskraft der Schlange vom Baum der Erkenntnis pflückte.
    Der Erfinder des »Eva-biss-in-den-Apfel-Mems« behielt offenbar seine »Entdeckung« nicht für sich, sondern erzählte sie weiter. Andere, die davon hörten, taten das Gleiche. Auf diese Weise breitete sich das Apfel-Mem wie ein Grippevirus aus. So brannte sich das Bild des verführerischen Apfels letztlich ins kollektive Gedächtnis der Menschheit ein, wurde zum Bestandteil von unzähligen Geschichten, Gemälden und Werbespots – ein wunderbarer memetischer Fortpflanzungserfolg, geboren aus einer banalen Fehlübersetzung.
    Dieser sensationelle Erfolg des »Eva-biss-in-den-Apfel-Mems« muss uns jedoch nicht sonderlich beunruhigen, schließlich ist es völlig harmlos. Die Welt würde heute kaum besser oder schlechter aussehen, wenn sich an seiner Stelle das realistischere »Eva-biss-in-die-Feige-Mem« verbreitet hätte. Allerdings enthält die biblische Sündenfallgeschichte eine Reihe weiterer Meme, denen man solche Harmlosigkeit keineswegs attestieren kann. Sie haben das Gesicht der Welt nachhaltig mitbestimmt und beeinflussen es bis zum heutigen Tag. Von diesen Memen und ihren weitreichenden Folgen handelt das vorliegende Buch.

Das Sündenfall-Syndrom

    Der biblischen Erzählung zufolge schuf Gott am Anfang aller Tage eine heile Welt, in der keine Not, keinerlei Übel existierte: »Gott sah, dass es gut war.« 6 Gewissermaßen als Krönung seiner heilen Schöpfung legte Gott in Eden einen wunderbaren Garten an, in den er den Menschen, den er zuvor aus Ackerboden geformt hatte, setzte. Gott erklärte dem Menschen, dass er von allen Bäumen des Gartens essen dürfe. Die einzige Ausnahme sei der »Baum der Erkenntnis von Gut und Böse«. Würde er von diesem Baum essen, drohte Gott, müsse der Mensch sterben.
    Nun wissen wir ja (und diese psychologischen Grundkenntnisse sollte man eigentlich auch einem allwissenden Gott unterstellen), wie das so ist mit
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