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Jenseits von Gut und Böse

Jenseits von Gut und Böse

Titel: Jenseits von Gut und Böse
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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Weltanschauungsgemeinschaften gelten. Der beste Indikator dafür, ob man einer Weltanschauung vertrauen kann oder nicht, ist die Art und Weise, wie sie mit Kritik umgeht. Wer Kritik verteufelt, hat offensichtlich etwas zu verbergen.«
    Hans Albert hat diesen Gedanken im Traktat über kritische Vernunft sehr treffend formuliert (und so riet ich dem Studenten auch dazu, sich dieses Buch zu besorgen): »Es gibt weder eine Problemlösung noch eine für die Lösung bestimmter Probleme zuständige Instanz, die notwendigerweise von vornherein der Kritik entzogen sein müsste. Man darf sogar annehmen, dass Autoritäten, für die eine solche Kritikimmunität beansprucht wird, nicht selten deshalb auf diese Weise ausgezeichnet werden, weil ihre Problemlösungen wenig Aussicht haben würden, einer sonst möglichen Kritik standzuhalten. Je stärker ein solcher Anspruch betont wird, umso eher scheint der Verdacht gerechtfertigt zu sein, dass hinter diesem Anspruch die Angst vor der Aufdeckung von Irrtümern, das heißt also: die Angst vor der Wahrheit steht.« 5
    Ich weiß nicht, ob meine Hinweise dem jungen Mann in seinem Konflikt geholfen haben. Denn so logisch zwingend Alberts kritisch-rationale Argumente auch sind, man darf nicht unterschätzen, wie groß der psychische Druck ist, den manche Memplexe entfachen können. Sehr bewusst wurde mir dies im Februar 2006 durch eine zufällige Kongruenz der Ereignisse: Während wir in Heidelberg Hans Alberts fünfundachtzigsten Geburtstag feierten und aus diesem Anlass nicht nur den Jubilar hochleben ließen, sondern auch ein Loblied auf das »Prinzip der kritischen Prüfung« anstimmten 6 , brannten in islamischen Ländern dänische Flaggen als Reaktion auf die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten . Das Geschenk der Kritik wurde, das war offensichtlich, nicht überall so dankbar entgegengenommen wie im Kreise kritischer Rationalisten.
    Es ist erschreckend, welche Folgen die zwölf im Grunde genommen doch recht harmlosen Zeichnungen aus Jyllands-Posten nach sich zogen. Im Zuge des sogenannten Karikaturenstreits wurden allein im Februar 2006   139   Menschen getötet und 823 verletzt. Und die Nachwirkungen des Streits sind bis in die Gegenwart hinein zu spüren: So steht der dänische Karikaturist Kurt Westergaard, der Mohammed mit einer Bombe als Turban zeichnete, noch immer unter massivem Polizeischutz und muss ständig umziehen, um Attentaten entrüsteter Muslime zu entgehen. Im Juni 2008 verübte bin Ladens Terrororganisation al-Qaida einen Anschlag auf die dänische Botschaft in Islamabad, bei dem sechs Menschen ums Leben kamen. Als Motiv gaben die Terroristen die Mohammed-Karikaturen aus Jyllands-Posten an.
    Radikale Muslime rechtfertigen solche Gewalttaten als Vergeltungsmaßnahmen, da sie angeblich in ihren »religiösen Gefühlen« brutal verletzt worden seien. Zwar distanzierten sich die meisten islamischen Politiker öffentlich von der Gewalt, jedoch nutzten sie den (von Islamisten ganz bewusst inszenierten) »Druck der Basis« sehr geschickt, um in der Folge ihre politischen Ziele durchzusetzen. So gelang es ihnen beispielsweise im März 2007, unter Bezugnahme auf den Karikaturenstreit, eine »Resolution für ein weltweites Verbot der öffentlichen Diffamierung von Religionen« im UN-Menschenrechtsrat durchzudrücken. Die Früchte dieser Resolution zeigten sich unter anderem im Juni 2008: Als der britische Historiker David Littman Genitalverstümmelungen, Steinigungen und Zwangsverheiratungen in Ländern, die unter dem islamischen Gesetz der Schari’a stehen, vor dem UN-Menschenrechtsrat thematisieren wollte, wurde er von Beginn an durch Zwischenrufe muslimischer Beiratsmitglieder unterbrochen. Der rumänische Ratspräsident Doru Costea forderte Littman schließlich auf, von jeglicher »Beurteilung oder Bewertung einer bestimmten Religion« Abstand zu nehmen, »und schloss damit jede weitere Thematisierung der Schari’a vor dem Menschenrechtsrat aus«. 7
    Religiös begründete Menschenrechtsverletzungen können vor den Vereinten Nationen heute kaum noch kritisiert werden, da solche Kritiken sofort mit dem Argument der »Diffamierung von Religion« abgewehrt werden. Dies ist ein wichtiger Etappensieg für die muslimischen Politiker, mit dem sie sich allerdings kaum zufriedengeben werden. Ihr erklärtes Ziel ist es nämlich, die allgemeinen Menschenrechte in Einklang mit der (im Kern menschenrechtswidrigen, weil den
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