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Jenseits von Gut und Böse

Jenseits von Gut und Böse

Titel: Jenseits von Gut und Böse
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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BEZIEHUNGEN
KAPITEL 5
    In einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung hat der Unterlegene den größeren Gewinn, und zwar in dem Maße, in dem er etwas hinzulernt.
    Epikur 1

    An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk
    Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack.
    Mitfühlend sehe ich
    Die geschwollenen Stirnadern, andeutend
    Wie anstrengend es ist, böse zu sein.
    Bertolt Brecht (1942) 2

    Du kannst den Täter durch Nicht-Vergeben nicht treffen, aber dein Vergeben kann dich selbst befreien.
    Everett Worthington (2001) 3
Kritik ist ein Geschenk: Die Kunst, Fehler einzugestehen
    »Ich weiß nicht, ob ich mich bei Ihnen bedanken oder Sie auf ewig verfluchen soll!« Der junge Mann, der vor mir stand, war sichtlich erregt. Leise fügte er hinzu, sodass es niemand außer mir hören konnte: »Das erste Mal in meinem Leben habe ich ernste Zweifel an meinem Glauben bekommen, und ich weiß nicht, ob das nun vernünftig ist oder ob der Teufel dabei seine Hände im Spiel hat!«
    Normalerweise hört man solche Töne nicht in einem Hörsaal einer deutschen Universität. Doch die Podiumsdiskussion, an deren Ende der junge Mann auf mich zukam, war auch keine gewöhnliche universitäre Veranstaltung gewesen. Ich hatte mich auf das Abenteuer eingelassen, der Einladung einer evangelikal ausgerichteten Studentengruppe zu folgen und als ausgewiesener Nicht-Theist mit dem einflussreichen amerikanischen Kreationisten William Lane Craig über die Frage nach der Existenz Gottes zu debattieren. Die Diskussion mit Craig war durchaus interessant (sie machte die Unterschiede zwischen einer konsequent theologischen und einer ebenso konsequent naturalistischen Argumentationsweise deutlich) 4 , noch spannender aber war zweifellos die anschließende offene Diskussion mit dem Publikum, das etwa zur Hälfte aus evangelikalen Christen bestand.
    Einer dieser Christen brachte die Veranstalter in arge Bedrängnis, als er fragte, ob es nicht schon eine schwere »Sünde« sei, einen »Ungläubigen« wie mich überhaupt dazu einzuladen, seine »ketzerischen Thesen« zu verbreiten. Craig, der nach dem Disput mit mir in Düsseldorf zwei weitere Debattentermine in Oxford und Cambridge auf der Agenda hatte, wollte auf diese Frage nicht mit einem klaren »Ja« antworten. Doch den Hinweis, dass meine »Verweigerung der Gnade Gottes« aus christlicher Sicht direkt in die »ewige Verdammnis« führe, konnte er sich nicht verkneifen.

    Man muss sich diese Rahmenbedingungen bewusst machen, um die Nöte des Studenten zu begreifen, der sich nach der Veranstaltung heimlich zu mir schlich. Er hatte von Kindesbeinen an gelernt, dass der Teufel der große Widersacher sei, der mit raffinierten Argumenten Zweifel säe, um so den festen Glauben an Gott zu erschüttern. Die kritische Infragestellung von Glaubenswahrheiten erschien ihm daher nicht als aufklärerische Tugend, sondern als »Inbegriff des Bösen«. Nun saß der arme Kerl recht unbequem zwischen den Stühlen: Einerseits hatte er Angst, vom sicheren Weg des Glaubens abzukommen und dafür postmortal mit ewigen Höllenqualen bestraft zu werden. Andererseits jedoch wusste er bereits zu viel, um weiterhin in kindlicher Naivität an den Glaubensvorstellungen festhalten zu können, mit denen er aufgewachsen war.
    Was sollte ich dem Studenten in dieser misslichen Lage sagen? Ich versuchte es mit einem Vergleich: »Stellen Sie sich vor, Sie wollten morgen in die Karibik fliegen. Zur Auswahl stehen Ihnen zwei Fluggesellschaften. Die eine lässt sich kontinuierlich von einem externen Sicherheitsdienst überprüfen. Sämtliche Teile der Flugzeuge werden gewissenhaft untersucht und bei Defekten gegen neue Teile ausgetauscht. Die andere Fluggesellschaft hingegen wehrt sich mit aller Vehemenz gegen die kritische Überprüfung ihrer Flugzeuge. Sie behauptet, dass die Sicherheitskontrolleure böse Saboteure seien und allein schon ihre Anwesenheit auf dem Firmengelände das Vertrauen in die Sicherheit der Fluggesellschaft erschüttere. Die Flugzeuge der Gesellschaft seien immer geflogen und würden auch in Zukunft problemlos weiter fliegen, wenn die Passagiere und Piloten nur aufrichtig genug an die Flugfähigkeit der Maschinen glaubten. Welcher Fluggesellschaft würden Sie Ihr Leben anvertrauen?«
    »Natürlich der ersten!«, antwortete der Student. »Die Maschinen der zweiten Fluggesellschaft dürften nicht auf dem neusten Stand sein.« »Genau!«, erwiderte ich. »Und was für Fluggesellschaften gilt, sollte auch für
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