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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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Hauptnahrungsmittel. Sie kam in vielen Variationen, dick, dünn, mit und ohne Geschmack. Manchmal war es eine trübe Flüssigkeit, nur mit Kümmel gewürzt. Suppe bedeutete Leben, Genug Suppe füllte den Magen und stillte den na-
    genden, schmerzhaften Hunger. Ich verschlang sie, auch wenn sie schlecht schmeckte. Die Menschen kämpften um die Suppe. Sie schoben und drängten sich, um eine zusätzliche Portion zu bekommen Manchmal stolperte jemand und Suppe spritzte über die Kleider. Einige der Suppenkessel waren sehr hoch, und die Leute beugten sich hinein
    um die Suppenreste bis zum letzten Tropfen auszulöffeln,
    auch auf die Gefahr hin, in den Kessel zu fallen.
    Ich erinnere mich, dass Mama auf unserem wöchentlichen
    Brotlaib ein Zeichen für jeden Tag einritzte,
    um sicherzustellen, dass uns auch genug Brot für die ganze Woche blieb. Das war oft schwierig.
    Wenn der Hunger zu sehr wehtat, schnitt sie mit schlechtem Gewissen ein kleines Stück in die Brotration des nächsten Tages hinein.
    Geburtstage waren eine ganz besondere Herausforderung,
    und wir versuchten, immer etwas Besonderes daraus zu machen. In einem Jahr bekam ich einen Kartoffelkuchen, so groß wie meine Handfläche, aus einer zerdrückten Kartoffel gemacht und mit einer Spur Zucker gesüßt. In einem anderen Jahr bekam meine Puppe Marlene neue Kleidung, aus Lumpen zusammengenäht. An meinem zehnten Geburtstag bestand mein Geschenk aus einem Gedicht, das meine Mutter extra für mich geschrieben hatte:
    »Habt ihr alle schon vernommen?
    Der 31. Dezember ist gekommen!
    Es ist des Jahres letzte Wende,
    Der Jahres-Tage letztes Ende.
    Am wichtigsten all dieser Dinge
    Ist der Geburtstag unsrer Inge.
    Ich gratulier und wünsch das Beste
    Zu deinem zehnten Geburtstagsfeste.
    Bleib gesund, du Sonnenkind,
    Dies heute meine Wünsche sind!
    Du unser Glück und unsre Freude,
    Dies offenbar ich gerne heute.
    Bleib brav und werd ein tüchtiges Mädchen,
    Bis sich wieder dreht das Rädchen
    Und wir erlöst von allen Leiden,
    Dann kommen wieder bessre Zeiten.
    Dann hoffen wir alle, Oma zu sehen
    Und wollen dann freudig nach Hause gehen!
    Dir, liebe Inge,
    gewidmet von deinen Eltern!
    Theresienstadt, 31. Dezember 1944«
    Der Geruch des Todes war überall. Viele alte Leute waren nach Theresienstadt geschickt worden. Sie konnten die schrecklichen Lebensbedingungen nicht ertragen und starben bald an Hunger und Krankheiten. Zweirädrige Handkarren wurden abwechselnd dazu benutzt, unser Essen zu transportieren und die Kranken und Toten wegzufahren.
    Immer wieder gab es Epidemien wegen des Mangels an hygienischen Einrichtungen und weil wir viel zu dicht aufeinander leben mussten. Ratten, Mäuse, Flöhe und Wanzen waren eine ständige Ge-lahr für uns. Das Wasser musste von Hand aus verschmutzten Brunnen gepumpt werden.
    Kurz nachdem wir in Theresienstadt angekommen waren, bekam ich Scharlach und verbrachte vier Monate in der Kinderabteilung des so genannten Krankenhauses. Wie alle Patienten war ich vom Rest des Lagers völlig isoliert. Zwei Kinder mussten sich ein Bett teilen, eins lag am Kopf-, das andere am Fußende. Ich teilte meines mit einem jüngeren Kind, das fast immer ins Bett machte. Der Raum sah aus wie ein Gefängnis mit zwei schmalen Fenstern, die etwas Licht hereinließen. Er war mit mindestens fünfzig Patienten schrecklich überfüllt.
    Einige Kinder unterhielten sich in Sprachen, die ich nicht verstand. Die Farbe blätterte von den fliegenbedeckten Wänden. Über allem hing ein widerwärtiger Geruch, der nicht zu vertreiben war. Der Geruch des Todes.
    Das hohe Fieber hatte mich arg mitgenommen und ich wurde sehr dünn. Meine größte Angst war, dass meine Eltern ohne mich in den Osten deportiert würden. Mir ging es von Tag zu Tag schlechter, immer mehr Komplikationen traten auf. Niemand glaubte mehr, dass ich am Leben bleiben würde. Nach der Scharlacherkrankung bekam ich rasch hintereinander die Masern, Mumps und eine doppelseitige Mittelohrentzündung. Ich wurde von Würmern geplagt, ich verlor meine Stimme und mein Körper war mit Eiterbeulen bedeckt.
    Im Krankenhaus fand ich eine neue Freundin. Ada war eine deutsche Jüdin. Sie brachte mir ein neues Lied über Palästina bei, in dem das heutige
    Israel liegt. Es erzählte von einem immer währenden
    Paradies, in dem die Zedern des Libanon den Himmel küssen. Sie versprach mir, dass wir bald dorthin gehen würden. »Du musst nur noch ein bisschen durchhalten«, sagte sie immer wieder. Adas Traum
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