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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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fast alle unsere Habseligkeiten bei der Ankunft abgenommen worden waren. Wir erfanden unsere eigenen Spiele und mussten uns dabei auf unsere Phantasie verlassen. Wir spielten, wer sich die üppigste Mahlzeit ausdenken konnte, die wir essen würden, wenn all das vorbei war. Berge von süßer Schlagsahne gab es da, gigantische Kuchen mit riesigen Erdbeeren. Und wir würden den ganzen Tag Schokolade und andere Süßigkeiten essen.
    Unser Spielplatz war ein faulig riechender Abfallhaufen. Hier wühlten wir stundenlang herum, wateten knietief durch die weggeworfenen Sachen und hofften, einen Schatz zu finden. Manchmal hatten wir Glück und entdeckten ein Stück Schnur oder eine halb verfaulte Rübe, bei der man die verdorbenen Teile abschneiden und noch einen kleinen essbaren Schnitz übrig behalten konnte.
    Ständig wurden Menschen nach dem Osten deportiert, auch viele Kinder. Einige ihrer Besitztümer fanden den Weg zu den Abfallhaufen, denn sie mussten fast alles zurücklassen, bevor sie die Güterzüge bestiegen, die sie zu den Gaskammern von Auschwitz brachten. Einmal fand ich eine Puppe ohne Arme und Beine. Ich war mir sicher, dass diese Puppe nicht wegen ihres armseligen Zustan-des weggeworfen worden war. Bestimmt hatte man das Mädchen gezwungen, ihren kostbaren Schatz zurückzulassen. Ich war traurig, als ich an das Mädchen dachte, das sich von seinem Spielzeug hatte trennen müssen. Ich fühlte mich schuldig, dass ich nun ihre Puppe besaß. Zum Glück hatte ich ja noch meine eigene Puppe, Marlene. Eine von Mamas Freundinnen nähte einen Rucksack für sie. Ich stopfte ihre wenigen Kleider hinein und hängte ihn ihr über die Schultern, genau so, wie ich es bei den Erwachsenen gesehen hatte. Marlene würde zum Transsport bereit sein, so wie jeder andere auch.
    Eine meiner Freundinnen besaß ein tschechisches
    Brettspiel. Keiner von uns verstand die fremden
    Worte der Spielanleitung. Ich fand Gefallen daran und musste es einfach haben. Ich erinnere mich nicht mehr, gegen was ich es bei ihr ein tauschte,
    aber endlich besaß ich dieses kostbare Spiel. Ich erfand meine eigenen Spielregeln dafür. Wenn man das Spiel zusammenlegte, waren beide Klickseiten leer. Papa nutzte das und malte mit einem Bleistift auf eine Seite ein Mühlespiel, auf die andere ein Damebrett. Ich war begeistert, dass ich Jetzt drei Spiele hatte. Ich sammelte nun eifrig schwarze und weiße Knöpfe, die ich von weggeworfenen,
    schmutzigen Kleidern abriss, und benutzte sie als Spielsteine.
    Wir veranstalteten Wettkämpfe, wer am geschicktesten die meisten Flöhe und Wanzen fangen konnte. Wer kletterte am schnellsten die Stockbet ten bis oben hinauf? Wer war am dünnsten und konnte die größte Anzahl sichtbarer Rippen vor weisen?
    Unsere Eltern wurden böse, wenn wir herumrannten. Sie ermahnten uns immer wieder, unsere Kräfte nicht sinnlos zu vergeuden und auf unsere Schuhe aufzupassen.
    Wenn wir an einem Leichenhaufen vorbeikamen, wandten wir uns ab, sangen ein Lied und versuchten, so zu tun, als wäre das alles nur ein Alptraum. Wir hofften, dass Gott uns nicht vergessen würde, wenn er seine Besitztümer im Himmel und auf Erden zählte, genau wie in dem deutschen Volkslied:
    »Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt? Weißt du, wie viel Wolken ziehen weithin über alle Welt? Gott, der Herr, hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen, großen Zahl, an der ganzen, großen Zahl.«
    Wenn ich aus dem Zimmer schaute, konnte ich hoch oben unter einem Firstbalken Vögel sehen,
    die dort ihr Nest gebaut hatten. Wie ich sie benei-dete! Sie konnten von all dem Elend davonfliegen, während ich eingeschlossen blieb.
    Dreimal am Tag mussten wir mit unserem Blechge-
    schirr in den Händen anstehen, um unsere Essens-ration aus den Gemeinschaftsküchen in Empfang
    zu nehmen.
    Die meisten Küchen befanden sich in den offenen
    Höfen der riesigen Kasernen. Die Warte-schlangen waren immer sehr lang. Besonders im Winter war es schlimm, wenn man in der bitteren Kälte warten musste. Das Frühstück bestand aus Kaffee, einer schlammigen Brühe, die schrecklich schmeckte. Zum Mittagessen gab es eine Wassersuppe, eine Kartoffel, eine kleine Portion Rüben oder so genannte Fleischsoße. Das Abendessen bestand wieder aus Suppe. Bis die Leute die Kessel erreicht hatten, aus denen das Essen ausgeteilt wurde, waren sie so hungrig und erschöpft, dass sie ihre Portion sofort hinunterschlangen.
    Suppe war unser
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