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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman
Autoren: Andrea Busfield
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1
    Dhespina war gerade dabei, im Gartenhaus die Salbe gegen die Hämorrhoiden des alten Televantos anzurühren, als der Greis angerannt
     kam, mit einer Hand seinen Stock umklammernd, mit der anderen seinen Hosenboden.
    »Loukis!«, keuchte er mit hochrotem, schmerzverzerrtem Gesicht, als er auf wackeligen Beinen in der Tür zum Stehen kam.
    »Was ist mit ihm?«
    »Er kam mit vollkommen irrem Blick ins Haus gestürzt und ist direkt vor meinen Füßen zusammengebrochen. Wie ein Felsbrocken.
     Krach! Er fiel zu Boden wie ein nasser Sack!«
    Dhespina warf die Schüssel mit der Salbe hin, griff nach zwei Blecheimern, die unter dem Tisch standen, und rannte hinüber
     zum Haus. Gleich hinter der offenen Holztür lag ihr Sohn der Länge nach wimmernd auf dem Boden. Sein Gesicht glühte, und seine
     schwarzen Haare waren so verschwitzt, dass sie sich kräuselten.
    »Mamma …«
    »Keine Angst, Loukis. Mamma ist da. Mamma ist schon da, mein Sohn.«
    Vorsichtig nahm Dhespina ihr jüngstes Kind hoch und trug es in sein Zimmer, wo sie als Erstes die Fensterläden schloss, um
     seine von Angst geweiteten Augen vor dem Licht zu schützen.
    Es war lange her, seit Loukis seinen letzten Angstanfall erlitten hatte; den ersten hatte er vor acht Jahren gehabt, kurz
     nach dem Tod ihres Hundes Apollo. Bei Dhespinas Vater war es genauso gewesen – sein gesamtes Leben hatte ihn etwas heimgesucht,dem sein Geist nicht gewachsen war, und nun linderte Dhespina Loukis’ Qualen mit denselben Mitteln, die ihre Mutter ihr einst
     gezeigt hatte: ein Tuch, so kalt wie Eis, ein zweites so warm wie der Sommer. Die Kälte half das Fieber zu senken, die Wärme
     besänftigte den Druck in seinem Kopf.
    Doch bei allem, was sie von ihrer Mutter und den heimischen Pflanzen gelernt hatte, wusste Dhespina, dass es kein Heilmittel
     gegen diese Angst gab: Es war eine Krankheit, deren Ursache in der Seele lag, nicht im Körper. Aus Erfahrung wusste sie auch,
     dass ihr Sohn, sobald der Zauber der Tücher wirkte, in den Schlaf gleiten würde, wo sich dann die Träume seiner annehmen und
     ihn von der Ohnmacht und der Dunkelheit zurück ans Licht führen würden.
    Leise, um ihn nicht aufzuschrecken, entfernte sich Dhespina vom Bett des Jungen und ging mit dem warmen Tuch zu dem Wassereimer,
     in dem Rosmarinzweige schwammen. Voller Dankbarkeit für die schmalen Blätter und die zartblauen Blüten der Pflanze, die man
     das ganze Jahr über bekommen konnte, küsste sie das Tuch, bevor sie es wieder in den Eimer tauchte. Dann griff sie nach dem
     Stückchen Stoff in dem Eimer mit dem kalten Wasser und legte es ihrem Sohn auf die Stirn. Bei dem plötzlichen Temperaturunterschied
     begannen Loukis’ Lider zu zucken. Er war leichenblass, und auf seinem schmächtigen nackten Oberkörper tanzten die Schatten
     des Kerzenlichts, das neben der Statue von Apollo flackerte, die sein Bruder vor so vielen Jahren geschnitzt hatte.
    Mit der Liebe einer Mutter wechselte Dhespina bis in den Abend hinein Tücher, um die ungesunde Röte von den Wangen ihres jüngsten
     Sohnes zu vertreiben. Bald würde die Angst ihren Griff ganz gelöst haben, würde seine zartbraune Gesichtsfarbe zurückgekehrt
     sein, ehe der Morgen aufzog.
    Mikros Lykos.
Kleiner Wolf. So hatte Georgios ihn genannt, als er ihr fünftes und letztes Kind zum ersten Mal erblickt hatte. Denn Loukis
     war mit dunklem Flaum auf dem Rücken zur Welt gekommen, und aus seinem Zahnfleisch hatten bereits vier winzigkleineZähnchen gespitzt. Sein Kopf war von tiefschwarzen Haaren bedeckt gewesen, und seine Augen hatten geschimmert wie Kohlen.
» Mikros Lykos
«, hatte Georgios geflüstert, und Loukis hatte seinen Kopf zurückgeworfen, so als würde er die Worte seines Vaters genau verstehen
     und hätte beschlossen, sie zu verinnerlichen.
    In diesem Moment, da ihr Sohn noch ganz vom blutigen Film der Geburt umhüllt war, erkannten Georgios und Dhespina, dass ihr
     fünftes Kind in einer Weise anders war, die über seine Behaarung hinausging. Nicht so wie Nicos’ Zwillingsbruder Marios, dessen
     sanftmütiges Wesen seine verlangsamte Entwicklung aufwog, eher eine Eigenheit, mit der sie später alle Hände voll zu tun haben
     würden.
    »Artemis muss auf ihrem Weg zur Jagd vorbeigekommen sein, als er gezeugt wurde«, witzelte Georgios, während er Loukis über
     seine zarten, kleinen Wangen strich. »Der Atem ihrer Wölfe lebt in unserem Sohn weiter.«
    Damals hatte Dhespina gelächelt bei der Vorstellung, dass ihr Kind
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