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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman
Autoren: Andrea Busfield
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schlagen und es auch niemals tun werden? Dieser EOKA-Führer – Grivas – sagt, dass
     sie sich Zypern notfalls mit Blut erkämpfen werden. Dieses Blut, Christakis, es fließt bereits, und ich sage dir, es wird
     weiter fließen, bis unser Land in einem Meer aus Blut ertrinken wird.«
    »Ist schon gut, alter Freund.« Beschwichtigend legte ihm Georgios eine Hand aufs Knie. »So weit wird es nicht kommen. Das
     werden wir nicht zulassen. Die Welt wird es nicht zulassen.«
    »Das sagst
du
, Georgios, und Gott weiß, wie gern ich dir glauben würde, aber ich sehe die Katastrophe wie eine Kanonenkugel auf uns zuschießen.
     Die Welt will nichts mit der Sache zu tun haben, die Vereinten Nationen reden nicht einmal mehr darüber. Und ich sage dir,
     dieser Krieg gegen die Briten wird sich wie ein Krebsgeschwür über unsere Insel ausbreiten, und es wird unser beider Gemeinschaften
     auffressen. Sieh uns doch an! Sieh dir mein Volk an. Sieh dir an, wie die Griechen bereits über uns denken! Innerhalb kürzester
     Zeit sind wir von Muslimen zu Türken geworden. Und das ist erst der Anfang, denk an meine Worte.«
    Georgios betrachtete den alten Mann, der ebenso Teil seines Lebens war wie der Sohn, der neben ihm saß. Er wollte seinen Prophezeiungen
     keinen Glauben schenken, dennoch hatte er ein ungutes Gefühl. Stavros war der Freund seines Vaters gewesen, und er war der
     einzige Türke, mit dem Georgios je zusammen an einem Tisch gesessen und Kaffee getrunken hatte. Die anderen – nun, sie blieben
     in ihren eigenen Cafés, auf ihrer Seite des Dorfes. War es nicht sogar sein eigener Vater gewesen, der Stavros einst seinen
     griechischen Namen gegeben hatte, damit sie den Priester an der Nase herumführen konnten und er sein Trauzeuge sein konnte?
     Dieser Name hatte ihn die vergangenen vier Jahrzehnte seines Lebens begleitet und zu dem gemacht, was er heute war: ein muslimischer
     Türke mit einem griechischen Namen, der griechischen Kaffee in einem griechischen Kaffeehaus trank. Wenn Georgios sich umschaute,
     konnte er an zwei Fingern abzählen, wer von den Anwesenden noch Stavros’ Geburtsnamen kannte: nämlich Stavros und er selbst.
     Ihre Freundschaft war ein Zufallsprodukt, und sie war eine Anomalie. Die Insel
war
geteilt – ob sie es nun wahrhaben wollten oder nicht. Sie war immer geteilt gewesen: durch Geschichte, durchReligion, letztlich durch unterschiedliche Träume. Selbst die Städte waren multiple Persönlichkeiten: griechisch, türkisch
     und nun britisch. Wo sonst in der Welt hatte ein einzelner Ort drei Namen? Lefkosia, Lefkoşa oder Nicosia; Lemesos, Leymosun
     oder Limassol; Ammochostos, Gazimağusa oder Famagusta. Die Liste war endlos.
    »Weißt du, Georgios«, fuhr der alte Mann fort, als könnte er Gedanken lesen, »die Insel steckt in einer Identitätskrise. Wir,
     die Muslime, betrachten uns zuerst als Zyprer und
dann
als Türken. Aber ihr, ihr werdet immer erst Griechen und dann Zyprer sein. Das ist das Damoklesschwert, das über Zypern schwebt:
     Euer Blick ist starr in die Vergangenheit gerichtet, während wir anderen in die Zukunft schauen.«
     
    Loukis saß auf der Erde und wartete. Doch es dauerte nicht lange, bis das Fenster über ihm aufging.
    »Mamma hat gesagt, dass du nicht sterben wirst und dass du gerade etwas hast, das man Periode nennt.«
    »Scheint so«, bestätigte Praxi und lehnte sich ein Stückchen weiter über den Fenstersims, um ihren Freund besser sehen zu
     können. Er saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt und zupfte kurze Grashalme, die sich durch den Kies bohrten. »Morgen soll
     es aufhören zu bluten, vielleicht auch erst übermorgen, und weißt du was?«
    »Was?«
    »Nächsten Monat kommt es wieder, und übernächsten, und überübernächsten, mein ganzes verfluchtes Leben lang – na ja, zumindest
     bis mir die Zähne ausfallen und mir Haare am Kinn wachsen. Das hat Mamma gesagt. Ganz schön eklig, wenn du mich fragst. Ich
     hasse es jetzt schon, eine Frau zu sein.«
    Praxi seufzte und lehnte ihren Kopf an den Fensterrahmen. Er war ganz warm von der Sommersonne und fühlte sich gut an auf
     der Haut.
    »Wird dich deine Mamma wieder rauslassen, wenn diese Periode rum ist, oder bist du jetzt nicht nur eine Frau, sondernauch eine Gefangene?«, fragte Loukis. Er war unruhig und fühlte sich unwohl, ohne zu verstehen, warum.
    »Keine Ahnung. Aber sie hat gesagt, dass ich von jetzt an mit Mädchen in meinem Alter spielen soll, wegen der Gefahr, in der
     ich bin. Sie
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