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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman
Autoren: Andrea Busfield
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wenn er sich gar nicht vorgenommen hatte, dorthin zu gehen.
     Aus irgendeinem Grund wimmelte es dort von britischen Soldaten, die sämtliche Lagerhäuser durchkämmten, in denen das Johannisbrot
     auf seine Verschiffung wartete, Kisten ausschütteten und gegen Kartons traten. Loukis entdeckte Yiannis Christofi, der mit
     einer Cola in der Hand und einer Zigarette zwischen den Fingern an einer Wand lehnte. Obwohl Yiannis fünf Jahre älter war,
     lief Loukis zu ihm hinüber, denn es war niemand sonst da, den er kannte, und außerdem war Yiannis mit seinem Bruder Michalakis
     zur Schule gegangen.
    »Was ist hier los?«
    Yiannis fing an zu lachen. »Hast du’s noch nicht gehört?«
    Loukis schüttelte den Kopf.
    »Gestern Nacht sind sechzehn EOKAs aus dem Gefängnis abgehauen.« Yiannis wies mit einer Kopfbewegung in Richtung der mächtigen
     Festung, die eine ganze Seite des Hafens einnahm. Vor vielen Jahrhunderten hatte sie die Insel vor den Arabern beschützt.
     Nun benutzten sie die Briten, um sich vor den Zyprern zu schützen. »Die Jungs haben sich an zusammengeknotetenBettlaken die Mauer runtergelassen. Die Briten schäumen vor Wut, diese nichtsnutzigen Drecksäcke.«
    Yiannis bot ihm eine Zigarette an. Loukis hatte noch nie in seinem Leben geraucht, zudem mochte er den Mann nicht mal, nahm
     die Zigarette aber trotzdem.
    »Wo hast du denn heute deine Freundin gelassen?«, fragte Yiannis. »Euch gibt’s doch sonst nur im Doppelpack.«
    »Sie ist krank«, erwiderte Loukis ausweichend.
    »Zu schade. Sie ist ein hübsches Mädel. Wie alt ist sie jetzt? Fünfzehn?«
    »Vierzehn.«
    »Aber danach wird sie fünfzehn, eh?«
    »Das ist für gewöhnlich der Lauf der Dinge.« Loukis drückte die Zigarette mit der Schuhsohle aus und ließ den anderen stehen.
     Sein Bruder Michalakis hatte Yiannis einmal eine reingehauen. Loukis wusste nicht mehr warum, aber er vermutete, dass er es
     verdient hatte.

2
    Es war nicht leicht, Loukis zum Lachen zu bringen – aber Aphrodite schaffte es einfach immer wieder. Im Unterschied zu allen
     anderen Eseln auf der Insel, die auf vier Hufen über die steinigen Felder trappelten, durchquerte dieses Exemplar die Landschaft
     in Lederschuhen – entworfen und angefertigt von Georgios höchstpersönlich. Als Aphrodite noch ein junges Ding war, stellte
     Stavros irgendwann fest, dass die Weigerung der Eselin, den Stall zu verlassen, weniger mit Sturheit zu tun hatte als mit
     dem Wetter, woraufhin er sich vertrauensvoll an seinen Freund Georgios wandte. Trotz anfänglicher Belustigung nahm dieser
     die Bitte seines Freundes ernst und machte sich sofort daran, das Tier auszumessen. Begleitet von den spöttischen Bemerkungen
     seiner Söhne, die ihn mit Bestellungen von Ziegensätteln, Hundesandalen, Katzenhandschuhen und Fischwämsern aufzogen, fertigte
     Georgios in seiner Werkstatt aus dem strapazierfähigsten gegerbten Leder, das er finden konnte, zwei Paar schalenartige Stiefel,
     die durch eine Schnalle an der Rückseite festgezogen wurden. Als er sein Werk vollendet hatte, half er Stavros’ stolzer Eselin
     in die Schuhe, und nach kurzem Widerstreben verließ Aphrodite schließlich mit hoch erhobenem Kopf und nach vorne gestellten
     Ohren freiwillig den Stall.
    »Es nennt sich Mysophobie«, erklärte Stavros, während er Aphrodites Rücken mit Orangenkörben belud. »Sie fürchtet sich vor
     Schmutz. Es fängt im Herbst an, wenn der Boden durch den Regen matschig wird, dauert den ganzen Winter über und zieht sich
     bis in den Frühling, meistens sogar noch bis in den Sommer. Sie ist eben ein Weibsbild durch und durch: Verlässt das Haus
     erst, wenn sie anständig zurechtgemacht ist.«
    Stavros tätschelte dem alten Mädchen den Hals und griff nach dem Melonensaft, den ihm seine Frau Pembe gebracht hatte. Obwohl
     sie mit Engelszungen auf Loukis eingeredet hatte, auch ein Glas davon zu trinken, weil er gut für die Nieren sei, bestand
     der Junge weiter auf Coca-Cola.
    Loukis half Stavros inzwischen seit drei Monaten auf seinem Hof, genau gesagt seit dem Tag, als seine Brüder ganz aus Versehen
     dafür gesorgt hatten, dass die Schule geschlossen wurde. Aus einer dummen Laune heraus, die zweifelsfrei auf Nicos’ Konto
     ging, hatten die Zwillinge eine weiße Wand des Schulgebäudes mit blauer Farbe beschmiert: »Wir fordern die Einheit mit Griechenland
     – und wenn wir dafür Steine essen müssen!« Am nächsten Tag hatten die Briten, die ohnehin der festen Überzeugung waren,
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