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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman
Autoren: Andrea Busfield
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war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
    »Mach dir keine Sorgen, Mamma. Loukis geht’s bald wieder gut«, versicherte ihr Marios, als sie sich endlich zum Rest der Familie
     im Wohnzimmer gesellte. Er streckte ihr eine Hand entgegen, und sie griff lächelnd danach, bevor sie ihm einen Kuss auf die
     Stirn gab.
    »Du hättest ihn heulen lassen sollen, als er Wolf spielen wollte«, warf Nicos ihr vor, aber er machte nur Spaß, und sein strahlendes
     Lächeln nahm seinen Worten jede Schärfe.
    »Ja, und vielleicht hätte ich einen richtigen Wolf aus ihm werden lassen sollen, damit er dich frisst!«, gab Dhespina zurück.
     Ihre Zwillinge, die einander äußerlich wie ein Ei dem anderen glichen, hätten innerlich nicht unterschiedlicher sein können:
     der eine empfindsam und rücksichtsvoll, der andere frech und mutwillig.
    »Ach, übrigens«, warf Georgios ein, »der alte Televantos wartet immer noch drüben im Gartenhaus und wärmt mit seinem Hinterteil
     unsere Kissen.«
    Dhespina schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Televantos! Warum hast du ihm denn nicht gesagt, dass er nach Hause gehen
     soll?«
    »Er hat sich geweigert und darauf bestanden, auf seine Salbe zu warten.«
    »Heilige Mutter Gottes«, sagte Dhespina lachend und war schon aus der Tür.
    Im Gartenhaus, an dessen Wänden sich Regalbretter unter der Last von Essigflaschen und Pfannen sowie Tiegeln voller getrockneter
     Kräuter, eingelegter Schweineohren und Wurzeln bogen, fand sie den laut schnarchenden Televantos. Er saß gegen die Wand gelehnt,
     sein Hinterteil ruhte auf zwei großen Kissen, die Georgios offenbar von ihrem Bett herbeigeschleppt hatte. Dhespina nahm die
     Schüssel, die sie so hastig auf den Arbeitstisch geworfen hatte, und füllte die darin angemischte Salbe aus Ringelblume und
     Mäusedorn in einen Tiegel.
    Dann rüttelte sie den alten Mann behutsam wach.
    »Herr Televantos. Ihre Medizin.«
    Ihr Nachbar schreckte zusammen und blickte sich verwirrt blinzelnd um, bis ihm endlich wieder einfiel, wo er sich befand und
     warum er hergekommen war.
    »Sie sollten Frau Televantos wirklich sagen, dass sie häufiger Gemüse für Sie kochen soll.« Dhespina lächelte ihn an.
    »Es ist ganz egal, was sie kocht. Es schmeckt alles grauenhaft«, grummelte er, während er sich unter Schmerzen vom Boden hochzustemmen
     versuchte.
    »Das mag ja sein, aber Ihr Zustand würde sich dadurch bestimmt verbessern.«
    »Meine kleine Dhespo, mein Zustand, wie du es nennst, ist sowohl Fluch als auch Segen. Hätte ich diese lästigen Hämorrhoiden
     nicht, würde mich meine Gemahlin binnen einer Woche unter die Erde bringen. Die Frau ist unersättlich.«
    Dhespina zog die Augenbrauen hoch. Herr Televantos war schon in den späten Siebzigern – schwer vorstellbar, dass seine gleichaltrige
     Frau über die Kondition verfügte, geschweige denn das Verlangen verspürte, ihrem altersfleckigen Ehemann derart zuzusetzen.
    »Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Dhespina nahm den alten Mann beim Arm, während er sich mühsam hochrappelte. Sie reichte ihm
     seinen Stock und den Tiegel mit der Salbe, den er in seine Tasche steckte.
    »Na, dann hoffen wir mal, dass mich die Briten auf dem Heimweg nicht verhaften.« Er lachte. »Vermutlich halten sie Hämorrhoiden
     für den neuesten Sprengstoff, frisch eingeschmuggelt aus dem Mutterland.«
    »Ich glaube, jetzt sind Sie ziemlich sicher, Herr Televantos. Um diese Zeit sind die Soldaten längst betrunken in ihren Kasernen.«
    »Ja, natürlich, richtig.« Der alte Mann gluckste. »Wenn sie nicht gerade anderen Völkern das Land klauen, legen sie ihre
poulloues
in warmes Bier ein.«
    Damit tippte sich Televantos zum Abschied mit seinem Stock an die Stirn und humpelte schwerfällig den Weg hinunter, den er
     fünf Stunden zuvor heraufgerannt gekommen war.
    Dhespina schaute ihm eine Weile nach, dann räumte sie ihre Töpfe und Utensilien auf, hauchte einen Kuss auf das Bild ihrer
     Mutter, das an der Tür hing, und ging zurück zum Haus. Beim Näherkommen entdeckte sie den Schatten eines Mädchens, das am
     Tor kauerte.
    »Praxi?«
    Der Schatten sprang auf und trat ins Mondlicht. Mit ihren großen Augen und den zarten Beinen glich das Mädchen einem wunderhübschen
     Rehkitz.
    »Frau Economidou, geht es Loukis gut?«
    »Ja, mein Kind, er schläft. Hast du etwa die ganze Zeit hier gesessen? Warum bist du nicht ins Haus gekommen?«
    Praxis Lippen bebten, und in ihren Augen standen dicke Tränen, die ihr im nächsten
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