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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter
Autoren: Pete Smith
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    Das Gewitter kam näher. In den letzten Minuten hatte sich der Himmel über der Burg zusehends verfinstert. Von seinem Platz am Fenster überblickte Nelson die weite Ebene, an deren hinterem Rand es gerade hell aufflammte. Kurz darauf spürte er wieder dieses tiefe Grollen, das sich allmählich an die Burg heranschob.
    »Wenn wir über die Zeit reden«, hörte er Professor Winkeleisen sagen, »dann sollten wir uns zunächst darüber verständigen, welche Zeit wir meinen.«
    Nelson sah auf die Uhr: 15.57 Uhr, acht, neun, zehn Sekunden. In einundzwanzig Minuten und zwanzig Sekunden würde das Gewitter über sie hereinbrechen. Plus/minus drei Sekunden. Darauf würde er selbst seinen geheiligten Kompass verwetten.
    »Isaac Newton betrachtete die Zeit als eine absolute Größe, die überall auf der Welt – und wenn ich Welt sage, dann meine ich nicht nur unsere winzige Erde, sondern das unermessliche Universum – in gleicher Weise zu bestimmen ist.« Professor Winkeleisen räusperte sich. »Diese Vorstellung sieht die Zeit als einen Pfeil, der, vor Ewigkeiten abgeschossen, Ewigkeiten lang in gerader Richtung weiterfliegen wird. Die meisten Menschen glauben an diese Art von Zeit. Für sie entspricht eine Stunde auf der Erde exakt einer Stunde auf der Venus oder überall sonst.«
    Der Wind jaulte um die Burg herum, peitschte über den Hof und fuhr so gewaltig in die uralte, knorrige Rotbuche, dass ihre bunten Blätter wie wild gewordene Schmetterlinge auseinander stoben. Nelson zwang sich, seinen Blick von diesem Naturspektakel zu lösen und nach vorn zur Tafel zu sehen, auf die sein Lehrer gerade mehrere Begriffe kritzelte:
     
    absolute Zeit (Newton)
    relative Zeit (Einstein)
    Ende der Zeit (Hawking)
     
    »Albert Einstein«, fuhr Professor Winkeleisen fort, »hat in seiner allgemeinen Relativitätstheorie dargelegt, dass Raum und Zeit ein vierdimensionales, gekrümmtes Gebilde namens Raumzeit formen. Alles, was Masse und Energie besitzt, verzerrt die umliegende Raumzeit. Zeit ist bei Einstein also nicht mehr absolut, sondern abhängig von Masse und Geschwindigkeit, also relativ. Können Sie mir folgen, meine Herrschaften?«
    Nelson blickte sich um. Einige seiner Mitschüler nickten, andere sahen uninteressiert zur Decke. Ein Arm schnippte in die Höhe. Fünf Finger mit langen, orange lackierten Nägeln zitterten durch die Luft wie aufgeregte Kolibris.
    »Judith?«
    Ein Teenager mit halblangen, wasserstoffblond gefärbten Haaren und einer löchrigen, ausgewaschenen Jeans erhob sich und stöckelte auf hohen Pumps zur Tafel. »Wenn Zeit durch Masse gekrümmt wird«, begann sie und nahm ein Stück Kreide zur Hand, »bedeutet dies, dass die Zeit in großer Nähe zu einem Superschweren Stern langsamer vergeht als in weitem Abstand dazu. Eine weitere Folgerung aus Einsteins Relativitätstheorie: Je höher die Geschwindigkeit, mit der ein Raumschiff unterwegs ist, desto langsamer vergeht für dessen Insassen die Zeit.«
    Das Mädchen malte zwei Kreise auf die Tafel, darauf zwei Figuren, die sie A und B nannte, und fuhr fort: »Das bringt uns zum berühmten Zwillingsparadoxon: Zwilling A beginnt eine Reise durchs All, während Zwilling B daheim die Kohle ranschafft. A bewegt sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit, wodurch die Uhr für ihn um einiges langsamer tickt als für Bruder B. Wenn A auf die Erde zurückkehrt, muss er feststellen, dass sein Zwillingsbruder längst in Rente ist und auch so aussieht, während er selbst in der Zwischenzeit kaum gealtert ist.«
    Nelson hörte nur mit einem Ohr zu. Er kannte das in- und auswendig. Stattdessen beobachtete er seine Mitschüler und stellte zweierlei fest: Während sich die meisten Jungen streckten, um einen Blick auf den Paradiesvogel zu werfen, der da so unverschämt selbstsicher über Paradoxa philosophierte, begannen einige Schülerinnen miteinander zu tuscheln und unverhohlen Blicke wie giftige Pfeile auf Judith abzuschießen.
    »Völlig korrekt!«, bemerkte Professor Winkeleisen und entließ Judith auf ihren Platz. »Das Zwillingsproblem scheint unserem gesunden Menschenverstand zu widersprechen. Und doch haben viele Experimente Einsteins Theorie bestätigt. Im Jahre neunzehnhundertfünfundsiebzig etwa synchronisierte die Wissenschaftlerin Carol Allie von der University of Maryland zwei Atomuhren, von denen eine auf der Erde blieb, während die andere auf eine längere Flugreise geschickt wurde. Als letztere wieder zur Erde zurückkehrte, verglich Mrs
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