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Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern

Titel: Ich bin ein Stern
Autoren: Unbekannt
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angefüllt waren, die man uns gestohlen hatte, waren sorgfältig verschlossen. Blinde, Krüp pel und Kranke hatte man davor gewarnt, sich sc hen zu lassen. Sogar der brutalste SS-Offizier, Ru dolf Haindl, stellte sich freundlich an diesem Tag. Transportlisten nach dem Osten wurden sorgfältig versteckt.
    Die Untersuchungskommission des Internationalen Roten Kreuzes verließ das Lager in dem Glauben, dass Theresienstadt ein typisches Lager für den Aufenthalt von Juden sei. Die ungeheure Täuschung war gelungen. Ein Film wurde damals gedreht, um die »guten Bedingungen« in Theresienstadt zu dokumentieren.
    Theresienstadt war das Vorzimmer von Auschwitz. Adolf Eichmann, der Leiter des Judenreferats, sorgte persönlich dafür, dass ein ständiger Fluss von Transporten aus Theresienstadt die Gaskammern in Auschwitz füllte. Er und der SS-Kommandant von Theresienstadt entschieden, welche
    Guppen von Leuten nach dem Osten deportiert wurden, und befahlen dem jüdischen Ältestenrat, Listen von tausend Menschen aus den bezeichneten
    Gruppen für jeden Transport zusammenzustellen.
    Manchmal wurden nur alte Leute aufgerufen, ein andermal Kriegsteilnehmer vom Ersten Welt-krieg mit den höchsten Auszeichnungen. Die Auswahl hing vollkommen von den Launen der SS ab. Wir lebten Tag und Nacht in der Angst, nach dem
    Osten gebracht zu werden. Es gab Zeiten, in denen |ede Woche mehrere Transporte abgingen.
    An den Herbst 1944 erinnere ich mich besonders gut. Es war die Zeit unserer hohen Feiertage -Rosch Haschana, das Neujahrsfest, und Jom Kip-pur, der Versöhnungstag. Jom Kippur ist ein Fastentag,
    und obwohl wir ja immer hungrig waren, lasteten und beteten an diesem Tag noch viele Leute, die schon zu einem Transport in den Osten eingeteilt worden waren. Die unglücklichen Menschen bekamen eine Nummer, die ihnen um den Hals gehängt wurde, und mussten sich in einer speziellen Kaserne versammeln. Dann wurden sie gezwungen, in die Viehwaggons zu steigen. Die Türen wurden verriegelt und bis zu ihrer Ankunft in Auschwitz nicht mehr geöffnet. Die meisten luden des Ältestenrates im Lager erlitten das gleiche
    Schicksal. Auch sie wurden in den Gaskammern von Auschwitz getötet. Als 1944 eine der letzten Selektionen zur Deportation stattfand, mussten sich alle noch verbliebenen Männer mit Kriegsver letzungen aus dem letzten Krieg im Hauptquartier der SS einfinden. Um unsere Namen war ein roter Kreis gezogen worden. Wir waren vor dem siehe ren Tod bewahrt geblieben.
    Eines Tages sprach mich ein älterer Mann auf dein Hof an, den ich nicht kannte. Er war offensichtlich für den Transport nach dem Osten selektiert wor den, denn er hatte eine Nummer um den Hals hängen. Er war verwirrt, nervös und voller Angst. Er drückte mir eine Pappschachtel in die Hand, gefüllt bis zum Rand mit bunten Dingen. Er stellte sich nicht vor und sagte nur: »Hier ist etwas zu meiner Erinnerung.« Dann ging er schnell weg. Ich war verblüfft und überrascht und untersuchte den Inhalt der Schachtel. Es waren kleine gestrickte Gegenstände, bunte Fäden und eine Flasche Entlausungsmittel. Was hatte diesen Mann veranlasst, mich für dieses Geschenk auszusuchen? Wer hatte alle diese Dinge gemacht? Bis heute denke ich immer wieder an diesen Vorfall zurück. Der Mann ist namenlos geblieben und wurde vermutlich in den Gaskammern getötet. Doch sein Wunsch, dass sich jemand an ihn erinnern möge, wenn auch nur ein kleines Mädchen, ist in Erfüllung gegangen.
    Meine beste Freundin Ruth und ihre Eltern, mit denen wir zwei Jahre lang die Pritschen in einem winzigen Raum geteilt hatten, befanden sich in ei-nem in dieser letzten Transporte zum Todeslager. Ruth war ebenfalls ein einziges Kind, gerade zwei Monate älter als ich. Wir waren wie Schwestern und teilten unsere Tagträume und Geheimnisse, Sie hatte wunderschöne blonde Haare. Ihr größtes Vergnügen war es, mit Buntstiften, die sie ins Lager geschmuggelt hatte, Bilder auf Papierfetzen zu zeichnen. Sie hoffte, sie würde einmal Künstlerin werden.
    Ruth und ihre Eltern kamen aus Berlin. Ihr Vater hinkte aufgrund einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg. Wir beiden Mädchen fanden es seltsam, mit so vielen kriegsversehrten Männern um uns herum zu leben, denen Arme oder Beine fehlten oder die sonst eine Kriegsverletzung hatten. Ruths Vater war halb christlich, halb jüdisch und Ruth war als Christin erzogen worden.
    Ruth und ich besaßen gleiche Puppen. Bevor sie ihre letzte Reise antrat, vertraute sie mir alle
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