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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein
Autoren: Tanja Steinlechner
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mir, in die rote Überdecke gehüllt, die Lippen halb geöffnet, eine Hand unter der Wange.
    Der Seidenschal hing noch am Bettgestell. Die leeren Gläser verströmten einen klebrigen, giftigen Geruch. Die Flipstüte lag zusammengeknüllt am Fußende. In der Schale ein übrig gebliebenes Stückchen Schokolade. Eine Fliege krabbelte darauf herum, rieb die Vorderbeine aneinander, surrte auf einmal hoch in die Luft.
    Die CD war längst zu Ende.
    Mein Kopf war so leer wie in dem Moment im Kiosk, aber auf eine so leichte, prickelnde Weise, dass ich nicht mehr still neben Jeanne liegen konnte. Außerdem hatte ich einen trockenen Hals. So leise ich konnte, zog ich mir meine Unterhose und das T-Shirt an und tastete mich im Schein des roten Buddhas in die Küche. In einem Küchenschrank fand ich ein Glas und füllte es mit Wasser aus dem Hahn. Während ich gierig trank und mir das Wasser übers Kinn lief, fiel mein Blick auf die lila Uhr, die an Saugnäpfen am Kühlschrank klebte.
    In einer Stunde musste ich bei der Arbeit sein!
    Ich setzte das Glas irgendwo ab, tappte zurück ins Zimmer und begann, meine Klamotten zusammenzusuchen. Der Gürtel kostete mich Zeit.
    Schließlich stand ich angezogen neben dem Bett, die Jacke über dem Arm, und überlegte, wie ich sie wecken und was ich denn bloß sagen sollte. Als ich mich hinunterbeugte, um ihr Gesicht zu berühren, öffnete sie ein Auge.
    „Kommst du wieder?“
    Sie fand meine Hand und legte sie an ihre Wange.
    „Ja“, sagte ich.
    „Gut“, murmelte Jeanne und schloss das Auge wieder. Ihre Hand rutschte von meiner. Ihr Atem ging wieder sanft und gleichmäßig.
    Ich strich ihr eine Locke aus der Stirn und ging. Vor dem Haus stand mein Fiat. Ich suchte den Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und fummelte fünf Minuten herum, bevor ich im Auto saß und die Strecke zu meiner Wohnung im Zentrum fuhr. Ständig musste ich mich zusammenreißen, damit ich nicht zu schnell fuhr oder mit dem Lenkrad aus lauter Spaß kleine Schlenker beschrieb . Hätte ich ein funktionierendes Radio gehabt, hätte ich es auf volle Lautstärke gedreht und mitgepfiffen. Auf dem Weg fiel mir ein, dass der Fernseher in meiner Wohnung noch laufen musste. Ich fing an zu lachen, ein grelles, befreites, erstickendes Lachen.
    Erst als ich aus dem Wagen stieg, beruhigte ich mich wieder. Bevor ich zur Haustür ging, fiel mir ein, dass ich ein paar Werkzeuge aus dem Kofferraum hatte mit nach oben nehmen wollen. An diesem Morgen fielen mir zum ersten Mal die feinen Kratzer am Kofferraumschloss auf.
    Ich weiß nicht, wie ich bin. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, mittelmäßiges Abitur, eigenes Auto, Ausbildung, mittelmä-ßiger Abschluss, Übernahme, eigene Wohnung. Das ist mein bisheriger Lebensweg.
    Die Leute denken jetzt, sie wüssten, wer ich bin. Sie denken, sie wüssten es jetzt besser. Sie schütteln die Köpfe, dass es ihnen nicht früher aufgefallen ist.
    Auch ich möchte meinen Kopf schütteln.
    Wer bist du eigentlich? Hätte ich etwas merken sollen? Und hätte es für mich einen Unterschied gemacht?
    Am nächsten Sonntagabend duschte ich lang und heiß. Ich rasierte mich. Fuhrwerkte mit Gel in meinen frisch geschnittenen blonden Haaren herum. Benutzte Aftershave. Zog meine sportlichste Boxershorts an. Socken ohne Löcher an der Ferse. Ich streifte ein Poloshirt über und eine Hose, die keinen Gürtel brauchte, nahm die kalte Flasche mit Maracujageschmack aus dem Kühlschrank und ging zum Auto.
    Ich hatte lange überlegt, wann ich wiederkommen sollte, wenn ich denn wirklich wiederkommen sollte. Was, wenn sie sich nicht mehr daran erinnerte, was sie im Halbschlaf gesagt hatte? Oder es ihr Leid tat? Sie es sich anders überlegt hatte? Ich krieg’s nicht raufgezogen! Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Ich hatte niemandem von Jeanne erzählt, aus dem einfachen Grund, dass ich nicht recht wusste, wem.
    Natürlich war meinen Kollegen in den letzten Tagen aufgefallen, dass ich auf einmal schneller arbeitete, mehr Ideen hatte und mich auch traute, sie zu präsentieren.
    „Sind Sie verliebt, oder was?“, hatte einer gespottet.
    Der letzte Abend war auch ein Sonntag gewesen, DER Sonntag. Vor diesem Sonntag war alles grau gewesen, einheitlich, öde.
    Was lag näher, als wieder an einem Sonntag bei Jeanne zu sein? Das würde ihr beweisen, dass ich es nicht vergessen hatte, dass ich genau wusste, wann wir uns begegnet waren.
    Solange nur die kleinste
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