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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume
Autoren: Maria Duenas
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    Eine Schreibmaschine stellte mein Leben auf den Kopf. Es war eine Hispano-Olivetti, und von ihr trennte mich über Wochen eine Schaufensterscheibe. Heute, nach all den Jahren, fällt es mir schwer zu glauben, dass ein gewöhnlicher mechanischer Gegenstand die Macht besitzt, dem Schicksal eine völlig neue Wendung zu geben und in nur vier Tagen sämtliche Pläne über den Haufen zu werfen. Doch so war es, und ich konnte nichts daran ändern.
    Was ich mir ersehnte, waren eigentlich keine großartigen Dinge. Ich hatte lediglich naheliegende Wünsche, die mit den Koordinaten von Raum und Zeit übereinstimmten, in denen ich mich damals bewegte. Zukunftspläne, die zum Greifen nah waren. In jenen Tagen drehte sich meine Welt gleichförmig um einige wenige Fixpunkte, die ich für unerschütterlich hielt, und meine Mutter war stets der wichtigste von allen. Sie war Damenschneiderin und arbeitete als Gesellin in einem Modeatelier für die gehobene Kundschaft. Sie hatte Erfahrung und ein geübtes Auge, aber sie war nie mehr als eine einfache Angestellte. Eine Arbeiterin wie viele andere auch, die sich während ihres Zehn-Stunden-Tages die Finger zerstach und die Augen verdarb, während sie zuschnitt und nähte, Kleidung absteckte und ausbesserte, die weder für ihren Körper noch für Blicke bestimmt war, die ihrer Person galten. Damals wusste ich von meinem Vater nicht viel. Eigentlich gar nichts. Er lebte nicht bei uns, doch seine Abwesenheit machte mir auch nichts aus. Nie war ich neugierig genug, um etwas über ihn erfahren zu wollen, bis meine Mutter – ich muss acht oder neun Jahre alt gewesen sein – sich traute, mir ein paar Dinge über ihn zu erzählen. Dass er eine andere Familie habe und es ihm nicht möglich sei, mit uns zusammenzuleben. Ich schlang diese Brocken Informationen ebenso hastig und gleichgültig hinunter, wie ich den letzten Rest meiner Karfreitagssuppe aus Kichererbsen, Stockfisch und Spinat auslöffelte: Das Leben jenes Fremden interessierte mich weit weniger, als schnellstens nach unten auf den Platz zum Spielen zu kommen.
    Ich wurde im Sommer 1911 geboren, im selben Jahr, in dem die berühmte Flamencotänzerin Pastora Imperio den ebenso berühmten Stierkämpfer Rafael Gómez genannt » El Gallo« heiratete, in Mexiko der später sehr populäre Sänger und Schauspieler Jorge Negrete das Licht der Welt erblickte und in Europa der Stern einer Ära sank, die Belle Époque genannt wurde. Von fern vernahm man bereits die Trommeln des Ersten Weltkriegs, und in den Cafés von Madrid las man die Tageszeitungen El Debate und El Heraldo, während auf der Bühne La Chelito das Publikum mit ihren zweideutigen Couplets verzauberte, zu denen sie sinnlich die Hüften schwang. König Alfonso XIII . gelang es – trotz seiner diversen Geliebten – in jenen Monaten sein fünftes legitimes Kind, eine Tochter, zu zeugen. An der Spitze seiner Regierung stand der liberale Canalejas, der noch nicht ahnte, dass er bereits ein Jahr später durch die Hand eines Anarchisten, der zwei Schüsse auf ihn abfeuerte, zu Tode kommen würde, während er sich in der Buchhandlung San Martín gerade die Neuerscheinungen ansah.
    Ich wuchs in einem einigermaßen glücklichen Umfeld auf, in dem eher Mangel als Überfluss herrschte, doch ohne große Entbehrungen oder Enttäuschungen. In einer engen Gasse in einem typischen Viertel von Madrid, unweit der Plaza de la Paja, nur einen Katzensprung vom Palacio Real, dem königlichen Palast, entfernt. In unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums mit seinem unaufhörlichen Lärm, in einer Umgebung mit Leinen voller Wäsche, dem Geruch nach Bleiche, dem Geschnatter der Nachbarinnen und Katzen, die in der Sonne dösten. Im Zwischengeschoss eines nahe gelegenen Hauses erhielt ich eine rudimentäre Schulausbildung: In Bänke, die für zwei gedacht waren, quetschten wir uns knuffend zu viert und sagten lauthals das Gedicht La Canción del Pirata und das Einmaleins auf. Dort lernte ich lesen und schreiben, die vier Grundrechenarten und die Namen der Flüsse auf der vergilbten Wandkarte. Mit zwölf Jahren begann meine berufliche Ausbildung, und ich wurde Lehrling in dem Modeatelier, in dem meine Mutter arbeitete. Wie es mir bestimmt war.
    Aus dem Geschäft von Doña Manuela Godina, der Inhaberin, kamen seit Jahrzehnten sorgfältig gearbeitete, exzellent geschnittene und genähte Kleidungsstücke, die man in ganz Madrid schätzte. Tageskleider, Cocktailkleider, Mäntel und Capes, mit denen später die
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