Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maskenspiel

Maskenspiel

Titel: Maskenspiel
Autoren: F Schmöe
Vom Netzwerk:
Beginn
    Ich liebe Fahnenmasten, Kirchtürme und sogar Baukräne …
    Alles, was hoch ist, fasziniert mich.
    Der Mensch strebt doch nach Höherem, nicht wahr? Mir gefällt sogar das Wort: Hoch. Dabei ist es nicht meine Art, allzu lange über Wörter nachzugrübeln. Ich beschäftige mich mit dem Greifbaren, Beweisbaren. Ich schätze, was objektivierbar ist. Ich agiere voller Vernunft.
    Wenn ich die vier schlanken Domtürme betrachte, erfasst mich ein Schwindel. Aber keiner, der mich verwirrt oder aus der Fassung bringt, wie es so vielen von diesen Würmlein geht. Nein, mein Schwindel ist wie ein Wirbel, der mich empor trägt und hebt und dem Ziel entgegen treibt.
    Ich habe mir viele Ziele gesetzt. Etliche habe ich erreicht. Für manche musste ich gemein kämpfen.
    Es gab Leute, die mich kritisierten, bremsen wollten. Sie alle bedeuten mir nichts. Ich konzentriere mich auf meine Größe. Alle Mittel, die ich einsetze, sind anständige Mittel. Ich halte mich an die Strafgesetze. Was gut und böse ist, wird ja durch eine soziale und von mir aus kulturelle Übereinkunft festgeschrieben. Aber ich weiß genau, dass sich solche Übereinkünfte ändern können. Deswegen halte ich mich nur soweit an sie, wie ich es muss. Niemals, sage ich mir, niemals darfst du deine Ziele aus den Augen verlieren.
    Diese Stadt ist eine heilige Stadt. Sie verleitet allerdings manchmal zum Träumen. Träume und Gefühle widerstreben mir. Ich halte mich an das, was ich selbst als zweckmäßig und nützlich für meine Ziele erkannt habe. Es fiele mir niemals ein, meine Absichten durch so etwas Banales wie Gefühle aus der Sphäre des Erreichbaren drängen zu lassen. Ich entwerfe einen Plan und führe ihn durch.
    Nichts wird mich aufhalten.
    Meine Güte, wie vernichtend dumm sind doch die meisten Menschen. Nutzlos und absolut unwichtig.
    Selbstverständlich kann ich meine Gefühle im Zaum halten. Alles geschieht auf der Ebene der Tatsachen, der Messbarkeit. Ihr werdet sehen. Ehrgeiz? Ach, was! Ehrgeiz. Ich bin weder geizig noch scharf auf so etwas wie Ehre. Geiz hieße doch, dass die anderen mehr abbekommen könnten vom Kuchen als ich. Aber sie schaffen es ohnehin nicht. Ehre? Ich brauche sie nicht. Ich halte mich unter Kontrolle, überprüfe meine Pläne und befolge alle Strategien, die zu ihrem Erreichen führen könnten. Ich bin zielstrebig. Wie gut, dass wenigstens einige Leute das erkannt haben!

1. Katinka liebt Claude Monet
    Sie stand auf der Schwelle eines impressionistischen Gemäldes. So könnte die Welt aussehen! Sie erinnerte sich an die vielen Diskussionsrunden ihrer Studienzeit, in denen schwerwiegende Fragen durchgekaut worden waren: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Katinka jedenfalls sah Klein-Venedig am Flussufer eindeutig so, wie Claude Monet es gesehen haben mochte: Verschwommen, skizzenhaft, geheimnisvoll. Viele kleine farbige Striche formten Fluss und Ufer. Das Licht schlich über die gekräuselte Wasseroberfläche und warf unbekümmerte Reflexe an die Wände der Fischerhäuser. Sanft tanzten die Schelche auf dem Wasser. Büsche und Bäume ließen ihr untertriebenes, helles Aprilgrün leuchten.
    »Was sinnierst du?«, wollte Tom wissen und legte den Arm um Katinka.
    »Ob Claude Monet wohl kurzsichtig war.«
    »Setz deine Brille wieder auf, bevor du sie in die Regnitz schmeißt«, erwiderte Tom. Wie üblich verstand er nur die eine Seite von dem, was sie sagen wollte.
    »Nein, im Ernst«, sagte Katinka und tastete nach dem Brillengestell, das sie auf der Brüstung abgelegt hatte. »Meinst du nicht, er hatte einen Augenfehler, und deshalb kam er überhaupt erst auf die Idee zu malen, wie er es getan hat?«
    »Keine Ahnung«, brummte Tom desinteressiert. Er war eher auf etwas zu trinken aus und nicht in Stimmung, eine Debatte über Malerei zu führen. »Du könntest bei den Kunsthistorikern nachfragen.«
    Typisch Tom. Als Computerfreak meinte er stets, dass sich Rätsel lösen ließen, wenn man Nullen gegen Einsen verrechnete. Mystisches kam ihm gar nicht in den Sinn. Katinka war zwar nicht gerade esoterisch angehaucht, aber einen gewissen Sinn für Spirituelles besaß sie dennoch. Ein Sehfehler schien ihr eine so wunderbare Erklärung für Monets Malstil: Wenn unsere Augen die Wirklichkeit machen, dachte sie, dann ist meine verzerrt, verzaubert und ziemlich unfertig.
    Katinka setzte die Brille auf die Nase und blinzelte. Natürlich waren drei Dioptrien noch keine desaströse Kurzsichtigkeit. Irgendwo hatte sie gelesen, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher