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Titel: iBoy
Autoren: Kevin Brooks
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eindeutig im dreißigsten Stock. Das Compton House hat nämlich dreißig Stockwerke, also ist das dreißigste das oberste. Und das Bild in meinem Kopf zeigte mir genau, dass das Fenster im obersten Stock lag.
    In dem Stock, in dem Lucy wohnte   …
    Ich stellte mir ihre Wohnung und das dazugehörige Fenster vor und versuchte, das Fenster in meinem Kopf mit dem realen Fenster von Lucy zu vergleichen   … und dann überlegte ich, wer sonst noch im dreißigsten Stock wohnte und wo im Verhältnis zu Lucy   …
    Aber mein Kopf wurde jetzt immer schwerer, immer müder   …
    Es kostete zu viel Kraft, mich zu konzentrieren.
    Zu viel Kraft, etwas zu sehen   …
    Zu viel Kraft, nachzudenken.
    Ich schlief ein.
     
    Es ist kein Traum, ich weiß, dass es kein Traum ist   … es ist real, etwas, das in mir geschieht. In meinem Kopf. Es kribbelt und rast   … greift in elektrischer Stille hinaus   … greift mit Lichtgeschwindigkeit in eine unendliche Unsichtbarkeit von absolut
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allem   … allem   … allem. Ich sehe alles, höre alles, weiß alles – Bilder und Worte und Stimmen und Zahlen und Ziffern und Zeichen und Nullen und Einsen und Buchstaben und Daten und Orte und Zeiten, Geräusche, Gesichter, Musik und Bücher und Filme und Welten und Kriege und schreckliche, schreckliche Dinge und alles alles alles auf einmal   …
    Ich weiß es.
    Ich weiß alles.
    Ich weiß, wo es zu finden ist.
    Ich bin verbunden.
    Drähte, Wellen, Netzwerke, Webs   … eine Million Milliarden summender Verbindungen, die in meinem Kopf sirren.
    Ich weiß alles.
    Ich weiß nicht, wie ich es weiß, ich weiß nicht, wo ich es finde, ich weiß nicht, wie es geschieht. Es ist einfach da, in mir, und tut, was es tut   … zeigt mir Antworten auf Fragen, die mir nicht mal bewusst sind
– das Gehirn besteht aus 100   Milliarden Nervenzellen   … jede Zelle ist mit circa 10   000 anderen verbunden   … die Gesamtzahl der Verknüpfungen liegt bei ungefähr 1000   Trillionen   –,
und lässt mich Stimmen hören, die ich nicht verstehe
– ja, ja, klar   … aber Harvey hat nichts gesehen –
und weiß, worüber ich nachdenke, dieses Etwas in meinem Kopf   … es kennt meine Sorgen, meine Gedanken, meine Gefühle, es saugt sie auf und transportiert sie an einen Ort, der mir zeigt, wovor ich Angst habe, was ich unterbewusst weiß, womit ich mich aber nicht beschäftigen will. Es zeigt mir die Titelseite der
Southwark Gazette
vom 6.   März, vor sechzehn Tagen:
     
    |27| ALBTRAUMVERGEWALTIGUNG EINES TEENAGERS
    In der Crow-Lane-Siedlung ist ein 1 5-jähriges Mädchen von einer Gruppe Jugendlicher vergewaltigt worden. Das Mädchen wurde am Freitagnachmittag zwischen 15.45 und 16.30   Uhr in der eigenen Wohnung überwältigt. Ihr 1 6-jähriger Bruder ist bei dem Überfall schwer verletzt worden, ein weiterer 1 6-Jähriger erlitt eine komplizierte Schädelfraktur, als ihn ein Gegenstand traf, der aus einem der Hochhausfenster
geworfen wurde. Die Polizei geht davon aus, dass mindestens sechs junge Männer an dem Übergriff beteiligt waren, und ruft die Bevölkerung auf, Beobachtungen zu der abscheulichen Tat zu melden. Nach Angaben des zuständigen Kommissariats handelt es sich bei den Tätern um Jugendliche aus der Siedlung im Alter zwischen 13 und 19   Jahren, die vermutlich Verbindungen zu einer Gang haben.
    Plötzlich wachte ich auf, schweißgebadet, mit schwer pochendem Herzen und einem vom Schlaf erwürgten Schrei in der Kehle.
    »Lucy!«
    Er kam als erstarrtes Flüstern heraus.
    »Ist gut, Tommy«, hörte ich jemanden sagen. »Ist gut   …«
    Ich erkannte die Stimme nicht gleich, doch dann hörte ich sie wieder – »Es war nur ein Traum, Tommy   … mit dir ist alles in Ordnung« – und wusste, es war Gram. Sie saß neben mir auf dem Bett und hielt meine Hand.
    Schwer keuchend starrte ich sie an. »Lucy   …«, flüsterte ich. »Geht es ihr gut? Ist sie –?«
    »Mit ihr ist alles in Ordnung«, sagte Gram und wischte mir mit einem Taschentuch die Stirn ab. »Es geht ihr   … nein, es |28| geht ihr nicht gut, aber sie ist in Sicherheit. Sie ist zu Hause bei ihrer Mum.« Gram warf einen Blick über die Schulter und ich merkte, dass sie nicht allein war. Zwei Männer in Anzügen saßen auf Stühlen hinter ihr.
    »Wer ist das?«, fragte ich Gram.
    Sie drehte sich wieder zu mir um. »Polizei   … sie untersuchen den Überfall auf Lucy und Ben. Ich habe ihnen gesagt, dass du nichts drüber weißt  
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