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Titel: iBoy
Autoren: Kevin Brooks
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Südlondon zuckelte und die acht Hochhäuser in Sicht kamen,
wieso
ich mich eigentlich so freute. Was konnte einem hier schon gefallen? Die beschissenen Hochhaustürme, die beengten Wohnungen, das überall gegenwärtige und alles überlagernde Gefühl von Leere und Gewalt?
    Ach, trautes Heim, Glück allein   …
    Mir war klar, auch die Gang-Kids würden da sein. Egal, was Lucy und Ben – und auch mir – passiert war, es musste mit den Gangs zu tun haben, das war mir klar. Und das bedeutete, es |35| würde Folgen haben. Denn alles, was mit den Gangs zu tun hat, hat Folgen. Es hört nicht einfach auf – es hängt auf Dauer in der Luft, besudelt sie wie der Gestank von einem gewaltigen, allgegenwärtigen Furz.
    Ich dachte eine Weile darüber nach und fragte mich, welche der Gangs wohl eher infrage kam für den Überfall auf Lucy – die Crows oder die FGH   –, doch eigentlich machte das keinen Unterschied. Sie waren beide bloß irgendwelche Jugendliche aus der Crow Town. Die Crows kamen normalerweise aus den Hochhäusern auf der Nordseite, während die FGH hauptsächlich aus den drei südlichen Wohntürmen (Fitzroy House, Gladstone House und Heath House – daher der Name FGH) stammten, und auch wenn immer behauptet wurde, dass sich die beiden Gangs abgrundtief hassten, war es nicht dauernd so. Mal hassten sie sich, mal nicht. Mal versuchten sie, sich gegenseitig umzubringen, mal nicht. Mal verbündeten sie sich und versuchten, zusammen Jugendliche aus anderen Gangs umzubringen   …
    Mal so, mal so   …
    Es machte überhaupt keinen Unterschied.
    Lucy war vergewaltigt worden. Wer immer es getan hatte, es war so. Alles andere war bedeutungslos.
    An dieser Stelle hörte ich auf nachzudenken und sah Gram an. Sie saß neben mir und tippte in den geöffneten Laptop auf ihren Knien.
    »Wie läuft’s?«, fragte ich sie und warf einen Blick auf den Bildschirm.
    Sie zuckte die Schultern. »Wie immer.«
    Gram schreibt Kitschromane, romantische Liebesgeschichten   … Bücher mit Titeln wie
Lord und Geliebte
oder |36|
Engel in Blau
. Sie hasst das Zeug, hasst, was sie sind, und hasst, sie zu schreiben. Viel lieber würde sie Gedichte schreiben. Aber von Gedichten kann man keine Miete bezahlen, von Liebesgeschichten schon   … jedenfalls so einigermaßen.
    »Ist das ein neuer Roman?«, fragte ich sie und schaute wieder auf den Bildschirm.
    Sie lächelte. »Soll es zumindest sein.«
    »Worum geht’s?«
    »Das willst du nicht wissen.«
    »Doch.«
    »Na ja   …«, sagte sie und drückte die Speichertaste. »Da geht’s um eine Frau, die sich in zwei Brüder verliebt. Die Brüder sind Zwillinge, deshalb
sehen
sie absolut gleich aus, doch vom Charakter her sind sie ganz verschieden. Der eine ist Soldat, so ein reiner Action-Typ. Der andere ist Musiker. Er ist unglaublich sensibel… du weißt schon, er schreibt Lovesongs und Gedichte für sie, so in der Art.«
    »Und der andere verprügelt die bösen Jungs?«
    Gram lächelte. »Ja   … was sie natürlich unwiderstehlich findet.«
    »Und bei wem landet sie am Schluss?«
    »Weiß ich noch nicht.«
    »Ich wette, bei dem Schlappschwanz.«
    »Meinst du?«
    Ich nickte. »Sie wird
glauben
, dass sie den Schlägertypen liebt, aber am Ende wird sie merken, dass der Schlappschwanz ihre einzig wahre Liebe ist. So läuft es doch immer in Büchern, stimmt’s?«
    Gram lächelte. »Aber im wahren Leben nicht?«
    »Nein«, sagte ich. »Im wahren Leben landet das Mädchen |37| immer bei dem Schlägertypen und der Schlappschwanz sitzt zu Hause und schreibt schlappe Gedichte, wie beschissen es ihm geht.«
     
    Die acht Hochhäuser der Crow Town stehen in einer ungeraden Linie über eineinhalb Kilometer verteilt an der Crow Lane. Es sind fünf Blocks auf der Nordseite (Addington, Baldwin, Compton, Disraeli und Eden) und drei auf der Südseite (Fitzroy, Gladstone und Heath). Dazwischen, so etwa zwei Drittel die Crow Lane entlang, gibt es einen kleinen Kreisverkehr, ein paar niedrige Wohnbauten und den Kinderspielplatz. Im Westen liegt ein ziemlich großes Industriegebiet   – Lagerhäuser, Autowerkstätten, Bahngleise, Tunnel und so – und im Osten, ungefähr 800   Meter entfernt, führt die High Street vorbei.
     
    Der Taxifahrer hielt am Straßenrand, nicht weit vom Ende der High Street.
    »Äh, ja   …«, sagte er und fummelte an seinem Taxameter rum. »Macht £ 9,50, bitte.«
    »Entschuldigung«, sagte Gram in dem Glauben, er hätte die Adresse falsch verstanden. »Wir wollten
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