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Titel: iBoy
Autoren: Kevin Brooks
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–«
    »Vielleicht könnten wir ja Tom selbst fragen«, sagte einer der Polizisten und stand auf. Er war groß, blond, hatte tabakfleckige Zähne und schlechte Haut. »Hi, Tom«, sagte er und lächelte mich an. »Ich bin DS Johnson und das   …« Er deutete auf den anderen Mann. »Das ist mein Kollege DC Webster.«
    Webster nickte in meine Richtung.
    Die Wunde an meinem Kopf kribbelte und erinnerte mich an den Traum, der kein Traum gewesen war, das komische Zeug in meinem Kopf – die elektrische Stille   … eine unendliche Unsichtbarkeit von absolut allem   … gesprochene Wörter, Wörter in einer Zeitung:
In der Crow-Lane-Siedlung ist ein 1 5-jähriges Mädchen von einer Jugendgang vergewaltigt worden   …
    »Wer war das?«, fragte ich DS Johnson.
    »Wer war was, Tom?«
    »Lucy ist überfallen worden   … Lucy Walker. Sie ist eine Freundin von mir   –«
    »Woher weißt du, dass sie überfallen wurde?«
    »Was?«
    »Hast du irgendwas gesehen?«
    »Nein   … nein, ich hab nichts gesehen. Ich war ja bewusstlos   … ich lag mit zertrümmertem Schädel am Boden. Ich hab nichts gesehen.«
    »Woher weißt du dann, was passiert ist?«
    |29| »Ich weiß nicht, was passiert ist.«
    »Entschuldigung, Tom«, sagte Johnson, »aber du hast mich doch gerade gefragt, wer es war. Du hast gesagt, dass Lucy überfallen wurde   … was die Vermutung nahelegt, dass du sehr wohl weißt, was passiert ist.«
    Mein Kopf ackerte. Ich war verwirrt, wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Aber ich zögerte nur eine Sekunde. »Ich hab den Bericht in der Lokalzeitung gesehen«, sagte ich. »In der
Southwark Gazette

    »Okay   …«, sagte Johnson zweifelnd. »Und wann war das?«
    »Heute   … vorhin. Ich war auf der Toilette, dahinten, den Flur entlang   … jemand hatte eine alte Ausgabe liegen lassen.«
    Johnson nickte und warf Webster einen Blick zu. Webster zuckte die Schultern. Johnson sah wieder mich an. »Du sagst also, du hast keine eigenen Informationen über den Vorfall, sondern weißt nur aus der Zeitung, was passiert ist. Stimmt das?«
    »Ja   …«
    Mir wurde klar, dass das tatsächlich stimmte. Es
war
die Wahrheit. Vielleicht nicht die
ganze
Wahrheit, aber die würde ich ihm auch bestimmt nicht erzählen. Garantiert würde ich ihm nicht erklären, dass der Zeitungsbericht einfach so, aus dem Nichts, in meinem Kopf erschienen war.
    Gram sagte zu Johnson: »Ich denke, das reicht für heute. Tommy ist müde. Er ist immer noch schwach.«
    »Ja, Mrs Harvey, das sehe ich, aber   –«
    »Miss«, sagte Gram frostig.
    »Wie bitte?«
    »
Miss
Harvey. Oder meinetwegen Ms. Aber nicht Mrs.«
    »Okay   …«, murmelte Johnson. »Wie auch immer, wenn Tom nichts dagegen hat   –«
    |30| »Er hat Ihnen alles gesagt, was er weiß.«
    »Na ja   –«
    »Nein«, sagte Gram energisch. »Das war’s. Wenn Sie noch mehr mit ihm besprechen wollen, dann ein andermal.«
    »Aber   –«
    »Wollen Sie, dass ich schreie?«
    Johnson sah sie böse an. »Was ist?«
    »Noch ein Wort von Ihnen«, erklärte ihm Gram ruhig, »und ich fange an zu schreien und laut loszuheulen. Und wenn dann die Schwestern und der Arzt gelaufen kommen, sehen sie eine arme alte Großmutter, die sich die Augen ausweint, weil zwei üble Kerle von der Polizei ihren schwerkranken Enkel foltern.« Sie lächelte DS Johnson an. »Haben Sie verstanden?«
    Johnson nickte. Er hatte verstanden.
    »Gut«, sagte Gram. »Und jetzt verpissen Sie sich besser, wenn’s recht ist. Und zwar schnell.«

|31| 100
    »So was [Gruppenvergewaltigung] passiert ständig, Mann. Du hörst davon in der Schule   … Das ist total normal. Und du weißt, wenn du drüber redest, kommen die Kerle am Ende wieder. Wenn sie verlangen, dass du die Schnauze hältst, hast du gar keine andere Wahl, du beißt dir auf die Zunge und machst weiter. Das ist zwar echt traurig, aber so ist die Realität. Die knallharte Realität.«
     
    http://www.guardian.co.uk/​world/​2004/​ jun/05/gender.ukcrime
     
    Die nächsten sieben Tage waren eine verwirrende Mischung aus wahnwitzigen Seltsamkeiten und lähmender Langeweile. Für ein paar Tage blieb ich noch im Einzelzimmer, damit die Ärzte meine Fortschritte genau verfolgen konnten, aber als alles gut lief, wurde ich in ein Mehrbettzimmer verlegt. Auch wenn Gram jetzt nicht mehr die ganze Zeit bei mir saß, kam sie mich doch jeden Tag besuchen und blieb ein paar Stunden. Ich fragte sie immer wieder nach Lucy, aber sie wollte mir nichts erzählen.
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