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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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fotografiert
und zur Obduktion weggeschafft. Die deutsche Polizei zog Miller nicht hinzu.
Dann stellten die Experten die Druckerei bis in die frühen Morgenstunden auf
den Kopf. Um sieben Uhr verhörte der Major die überraschten Beschäftigten der
Firma gleich vor Ort. Er erzählte ihnen, dass man Schulze wegen Steuerbetrugs
größeren Stils verhaftet hatte. Die fünf Drucker gaben über alles bereitwillig
Auskunft und schienen nicht in die Blütenproduktion involviert zu sein.
Schulze, so erfuhr er von den Männern, hätte ihnen manchmal gesagt, dass er die
ganze Nacht über lästigen Schreibkram erledigen müsste. Dann hatten sie ihn
immer bei Arbeitsbeginn schlafend auf einer Couch im Büro angetroffen. Er hatte
die Druckerei etwa zu dem Zeitpunkt erworben, als die Fälscherbande aus Frohnau
weggezogen war.
    Als Miller übernächtigt im Föhrenweg aus
dem Wagen stieg, lagen ihm bereits die ersten Untersuchungsergebnisse vor. Wie
in der Garage der Frohnauer Villa gab es Papierreste und Farbspritzer, die mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf hindeuteten, dass man
Falschgeld gedruckt hatte. Die Blüten waren auf einer Presse in einem
verschlossenen Raum hinter dem Büro des Firmeninhabers hergestellt worden, zu
dem die Arbeiter der Druckerei nie Zugang hatten.
    Auch Gleason konnte mit Neuigkeiten
aufwarten. »Schulze ist…«, der BOB-Mann verbesserte sich, »Schulze war nicht
sein richtiger Name. Die vom Document Center haben eben angerufen. Er heißt
Richter, Wolfgang Richter.«
    Miller sah ihn verwundert an. »Alle Achtung! Du
scheinst denen ja kräftig Beine gemacht zu haben.«
    Gleason grinste. »Ein Kommilitone aus
meinem ehemaligen College ist dort neuerdings Abteilungsleiter.«
    »Tja, eine gute Old-Boys- Connection ist
manchmal Gold wert. Aber wie konnte er denn so schnell in all den Aktenbergen
fündig werden?«
    »Mehr oder weniger durch einen Tipp von
mir. Ich hatte eine Eingebung und riet ihm, falls vorhanden, zuerst die
Unterlagen über die SS-Einheiten durchzusehen, die Adolf Wagener in Wilna
unterstellt waren. Um mich kurz zu fassen: Im Document Center
existieren derartige Unterlagen.«
    »Und?«
    »Nun, er fand einfach die berühmte
Stecknadel im Heuhaufen. Einige der Akten enthielten auch tabellarische
Lebensläufe. – Zum Beispiel diesen hier.« Gleason schob ein Dossier über den
Schreibtisch.
    »Wolfgang Richter, Ingenieurstudium,
schon als Korpsstudent 1935 Eintritt in die SS, ab 1937 Geschäftsführer der
väterlichen Druckerei in Breslau… von 1942 bis Mitte 1943 in Wilna stationiert.
Seit August 1943…«
    »Das dürfte tatsächlich unser Mann sein«,
sagte der Major. »Diesen Vermerk ›zu besonderen Aufgaben in die
Reichshauptstadt abgestellt‹ gab es in Adolf Wageners Akte doch auch, oder habe
ich das falsch in Erinnerung?«
    »Nein, hast du nicht. Adolf Wagener,
alias Hübner, der ›Bluthund von Wilna‹, und Wolfgang Richter, alias Wolfgang
Schulze, waren nicht nur in Wilna, sondern auch in Berlin zusammen
stationiert.«
    »Was für einen Beruf hatte Wagener
eigentlich vor dem Krieg?«
    »Das ist eine sehr gute Frage! Ich habe
sie natürlich meiner Old-Boys- Connection auch gestellt.«
    »Er war doch nicht etwa ebenfalls im
Druckereigewerbe tätig?«
    »Nein, Paul. Viel besser! Adolf Wagener
war von 1934 bis 1937 Buchhalter bei der Filiale der Dresdner Bank in Moskau
und danach Abteilungsleiter im Ressort Devisen von der Reichsbank in Berlin.
Nach dem Kriegseintritt Deutschlands wurde Wagener von der SS überwiegend mit
Finanzaufgaben beauftragt, zum Beispiel damit, die beschlagnahmten Vermögen der
Baltikum-Juden nach Berlin zu transferieren.«
    Miller gab Gleason das Richter-Dossier
zurück. »Somit wäre die vierköpfige Frohnauer Fälscherbande um einen weiteren
Mann dezimiert.«
    »Richtig! Die Analysen der Papier- und Farbpartikel in
der Villengarage und in Richters Hinterzimmer legen diesen Schluss durchaus
nahe. Fragt sich nur, wie wir den restlichen Komplizen das Handwerk legen. Ich
kann mir vorstellen, dass die jetzt wieder länger auf Tauchstation gehen.«
    »Das befürchte ich auch, aber man wird
sehen.«
    Es klopfte an Gleasons Bürotür.
    »Come in!«
    Ein Militärpolizist erschien in der
Öffnung und salutierte. »Für Sie, Sir. Kam eben mit einem Kurier.«
    Es waren die Fotos von Richters Leiche.
Miller wählte einige aus, dann stand er gähnend auf. »Ich lege mich erst mal zu
Hause für ein, zwei Stunden aufs Ohr. Danach fahre ich zum Klausener
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