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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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hatten sich die
Ost-West-Spannungen permanent verschärft: Am 23. März 1948 war von der
Sowjetunion die Mitwirkung im Kontrollrat aufgekündigt worden, nicht zuletzt
wegen Uneinigkeit über eine für ganz Deutschland gültige Währungsreform. Dann
hatte am 1. April der SMAD den Westalliierten mitgeteilt, dass ihre
Armeeingenieure die Fernsprechverbindungen zwischen Berlin und den Westzonen
»wegen technischer Probleme« nicht länger aufrechterhalten könnten. Die vier
Berliner Stadtkommandanten trafen sich zwar noch regelmäßig, aber die Stimmung
auf den Konferenzen wurde von Mal zu Mal eisiger.
    Major Miller war bereits nach der
kommunistischen Machtübernahme in Prag im Februar des Jahres weitgehend von seiner
Tätigkeit als Berichterstatter von The Stars and Stripes entbunden
worden, um für BOB die deutschsprachige Presse in der sowjetischen
Besatzungszone auszuwerten. Im Föhrenweg wollte man ein möglichst detailliertes
Bild über die politische Stimmungslage in der SBZ bekommen, was zur Folge
hatte, dass täglich Berge von Zeitungen und Zeitschriften auf Millers
Schreibtisch landeten. Zu deren Sichtung benötigte der Major verstärkt Karls
Hilfe, der somit immer öfter erst spät vom Flughafen Tempelhof nach Hause kam
und sich allein schon aus Zeitgründen nicht mehr an Bennos und Hansis weiteren
Ermittlungen in Sachen Falschgeld beteiligen konnte.
    Als Karl wieder einmal nach etlichen
Überstunden von dem Major in der Podbielskiallee abgesetzt wurde, hatte Vera
bereits den Abendbrottisch gedeckt. Es gab Pellkartoffeln mit Leinöl und für
jeden ein kleines Schälchen Magerquark, dazu eine Kanne mit Pfefferminztee, die
Minze kam aus Lilos Garten.
    »Sag mal Karlchen, stimmt es, was ich
heute in der Offizierskantine aufgeschnappt habe? Die Russen hätten gestern
erneut einem britischen Militärkonvoi in Helmstedt die Weiterfahrt in Richtung
Berlin verweigert?«
    »Ja, angeblich, weil eine Elbbrücke
repariert werden musste.«
    Vera verzog das Gesicht. »Denen fallen ja
immer neue Schikanen ein. Mal ist die Autobahn durch einen schweren Unfall
blockiert, mal wegen Bauarbeiten gesperrt.« Sie verteilte die Kartoffeln und
goss Karl eine Tasse Tee ein. »Auf dem Heimweg hat eine Frau in der U-Bahn
gemeint, dass sich die Westalliierten von den Sowjets einfach zu viel bieten
lassen würden.«
    »Der Meinung bin auch. Aber was sollen
sie denn machen, sich den Weg frei schießen? Das wäre wohl kaum eine geeignete
Lösung. Von Miller erfuhr ich, dass die Russen in ihrer Besatzungszone
vermutlich mehr Truppen unter Waffen haben als England, Amerika und Frankreich
in ganz Europa. – Immerhin ist der Konvoi heute Mittag, wenn auch mit vierzehn
Stunden Verspätung, in Berlin eingetroffen.«
    Vera begann nachdenklich, eine Kartoffel
abzupellen. »Ich weiß nicht, Karlchen, irgendwie habe ich das ungute Gefühl,
das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht, und das macht mir
einfach Angst. Du sagst ja selbst, wie übermächtig stark die Sowjetarmee ist.
Stalin braucht doch bloß zu nicken, und schon hat er Berlin einkassiert! – Aber
ganz abgesehen von der Politik: Die Schwarzmarktpreise für Lebensmittel steigen
und steigen. Es ist fast wieder wie gleich nach dem Krieg: Hast du Zigaretten,
Kaffee oder Schnaps, bist du König; zahlst du mit Geld, bist du Bettler.«
    Karl beträufelte eine Kartoffel sparsam
mit Leinöl, streute eine Prise Salz darüber und tunkte sie in das
Quarkschälchen. »Dass die Inflation unbedingt gestoppt werden muss, ist den
Westalliierten klar.«
    Vera sah resigniert auf ihren Teller.
»Was meint denn Miller zum Thema Währungsreform? Bei seinen guten Kontakten
nach oben sollte er eigentlich informiert sein, ob da demnächst etwas
passiert.«
    Aber Major Miller wurde am Freitag, dem
18. Juni 1948, von der Ankündigung der Westalliierten, in ihren Zonen die
Deutsche Mark als neues Zahlungsmittel einzuführen, ebenso überrascht wie Vera
und Karl. Mit Wirkung vom 21. Juni 1948 galt die Deutsche-Mark-Währung. Ihre
Rechnungseinheit bildete die Deutsche Mark, die in hundert deutsche Pfennige
eingeteilt wurde. Alleinige gesetzliche Zahlungsmittel waren vom 21. Juni 1948
an die auf Deutsche Mark oder Pfennig lautenden Noten und Münzen, die von der
Bank deutscher Länder ausgegeben wurden. Jeder Einwohner des Währungsgebiets
bekam einen einmaligen Kopfbetrag von sechzig DM im Umtausch gegen Altnotengeld
desselben Nennbetrags, wovon vierzig Mark in den drei Westzonen sofort am 20.
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