Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
etwa diese famose Feier schon verlassen?«
    »Nur kurz was erledigen, Herr
Brandermann.«
    Karl und Miller ließen sich von der Garderobenfrau
ihre Mäntel geben.
     
     
    Major Miller startete den Motor und schaltete den
Scheibenwischer und das Abblendlicht ein. Die Straßen bis zum
Richard-Wagner-Platz waren wegen der allgemeinen Energieknappheit nur
notdürftig beleuchtet. Vor der Spreebrücke am Schloss Charlottenburg überholte
ein Ford mit weißem Faltdach den Horch.
    »Das könnte eben Elektro-Klaus gewesen
sein«, sagte Karl.
    Als Miller in den Tegeler Weg einbog,
hielt der Ford vor einer Ruine gegenüber einer Freifläche am Spreeufer. Der
Major fuhr mit verlangsamter Geschwindigkeit an dem Wagen vorbei. »Na, ist das
unser Freund?«
    »Ja, eindeutig!« Zwanzig Meter vor ihnen
stand in Fahrtrichtung ein offener Lkw-Anhänger am Straßenrand. »Am besten, wir
parken da.«
    Miller nickte, lenkte den Wagen hinter
den Anhänger und schaltete das Licht und den Motor ab. Karl und Miller stiegen
aus. Fünfzig Meter vor ihnen parkte ein Hanomag neben einer Gaslaterne. Es
begann heftiger zu regnen. Karl schlug seinen Mantelkragen hoch. Nur ihre Köpfe
ragten über die Ladefläche des Anhängers. Von den Gaslaternen im Tegeler Weg
brannte nicht einmal jede zweite, dennoch konnten sie einigermaßen deutlich
erkennen, wie Elektro-Klaus mit einer Aktentasche in der Hand die Straße
überquerte. Kaum hatte er die andere Seite erreicht, tauchte, vom Spreeufer
über die Freifläche kommend, ein stämmiger Mann mit einem Schirm auf. Auch er
hatte eine Aktentasche dabei. Elektro-Klaus und der Dicke tauschten die Taschen
aus, schienen noch ein paar Worte zu wechseln, dann trennten sie sich.
Elektro-Klaus stieg in seinen Ford, wendete und fuhr in Richtung Schlossbrücke
davon. Der dicke Mann mit dem Schirm wartete, bis die Rücklichter des Wagens
fast nicht mehr sichtbar waren, dann ging er auf der anderen Straßenseite an seinen
Beobachtern vorbei.
    »Wo will er hin?«, flüsterte Miller.
»Sehen Sie? Jetzt kommt er auf unsere Seite rüber!«
    »Ob er zu dem Hanomag will?«
    Als der Mann die Fahrertür des Hanomags
schloss, saßen Miller und Karl bereits wieder in ihrem Horch.
     
     
    Bis zum »Knie« folgten Karl und der Major
dem Hanomag in gebührendem Abstand, dann wurde der Verkehr etwas reger. Zumeist
waren alliierte Militärfahrzeuge unterwegs, sodass Miller ab Bahnhof Zoo wagte,
dichter aufzurücken, und Karl sich die Autonummer aufschreiben konnte. Am
Nollendorfplatz verloren sie den Wagen des Dicken allerdings einen Moment lang
aus den Augen, weil sie einen amerikanischen Militärkonvoi vorbeilassen
mussten. Zum Glück war die Kolonne nur kurz.
    »Wo ist er?«, fragte Miller.
    Karls Zeigefinger berührte die
Windschutzscheibe. »Er biegt da vorne nach rechts in die Nollendorfstraße ein.«
    »Ah, ja, jetzt sehe ich ihn auch!« Der
Major gab Gas.
    Als der Horch die Kreuzung erreichte,
verschwanden die Rücklichter des Hanomags gerade in der breiten Toreinfahrt
eines Mietshauses. Sie führte auf einen Gewerbehof. Über dem Tor hing ein
Schild: »Schreinerwerkstatt Klein & Balz Hof 1, Buchbinderei Jenatzki Hof
1« – und – »Druckerei Schulze Hof 3«.
    »Sieh mal einer an«, murmelte Karl.
»Sollen wir uns die mal näher anschauen?«
    Miller nickte, fuhr ein paar Meter weiter
und hielt an. Sie stiegen aus und spähten in die dunkle Einfahrt.
    »Mist!«, knurrte der Major. »Ausgerechnet
heute habe ich keine Taschenlampe dabei. – Aber dafür das!« Er zog eine Pistole
aus der Manteltasche.
    »In den Höfen dürfte es heller sein«,
meinte Karl. »Mit Licht würden wir sowieso nur auffallen.«
    Vorsichtig machten sie sich auf den Weg.
Die Gewerbegebäude im ersten Hof waren im Krieg kaum zu Schaden gekommen, aber
die im zweiten hatten die Bomben weitgehend zerstört. Überall war es
totenstill.
    Karl und der Major verharrten im Dunkel
der Tordurchfahrt zum dritten Hof, den sie von ihrem Platz aus zwar nicht in
seiner Gesamtheit einsehen konnten, der aber weitaus größer war als die ersten
beiden.
    Der Hanomag stand am Hofende vor einer zweistöckigen
Fabrikhalle, die circa zwanzig Meter von der Tordurchfahrt entfernt war. Neben
dem Hanomag parkte ein Lkw gleichen Fabrikats mit weißen Lettern auf der Ladeklappe:
»Druckerei Schulze«. Ein Fenster im Obergeschoss der Halle war matt erleuchtet.
Unter dem Fenster befand sich eine breite Schiebetür. Links und rechts der
Halle türmten sich Schuttberge.
    »Und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher