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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Oriental stets die Ohren offen, wenn
Leute aus dem Milieu bei ihm einkehrten, aber bislang erfolglos.
    Der Geburtstag rückte näher. Vera und
Birgit übten als Überraschung für Benno eine lustige Nummer ein, einen
Akrobatik-Sketch, in dem alles schiefging, und sahen sich deshalb häufiger.
Birgit wohnte nicht mehr in Reinickendorf, sondern bei ihrem Freund in der
Uhlandstraße. Nach den Proben im Jiu-Jitsu-Keller gingen sie meistens am
Kurfürstendamm Kaffee trinken, wo gelegentlich auch Brandermann zu ihnen stieß.
Da Vera in Tempelhof in einer Kantine ausschließlich für Militärangehörige
arbeitete, sah sie ihn auf dem Flugplatz nur selten. Birgit hatte es wahrhaftig
gut getroffen. Er war ein charmanter Mann mit besten Umgangsformen. Einmal
waren sie auf die Kriegsjahre zu sprechen gekommen, und Brandermann hatte Vera
erzählt, dass er als Sachbearbeiter für Passangelegenheiten an der Deutschen
Botschaft in Stockholm nie zur Wehrmacht eingezogen worden war. Birgits Freund
erwies sich nicht nur als angenehmer Unterhalter, sondern war auch alles andere
als ein Pfennigfuchser. Selbst wenn Vera aufs Energischste protestierte,
bestand er immer darauf, ihre Rechnung im Café ebenfalls
zu begleichen. Zu Bennos Geburtstagsfeier versprach er, drei Kisten Sekt
beizusteuern.
    Vera und Karl würden sich derart
kostspielige Geschenke nicht leisten können. Was sie gemeinsam verdienten,
reichte gerade so, um über die Runden zu kommen. Karl trieb aber für seinen
Freund antiquarisch in der Buchhandlung am KaDeWe ein reich bebildertes Jiu-Jitsu-Lehrbuch
von vor dem Krieg auf, und Vera nähte für den Oriental- Wirteine
Trainingsjacke aus dickem schwarzen Leinenstoff, den Edith Jeschke aufgetrieben
hatte. Die Freundin von Sergeant Burns wollte als Geburtstagsgeschenk eine dazu
passende Hose schneidern.
    Als Bennos Ehrentag näher rückte,
befanden sich die drei Westsektoren Berlins nach wie vor fest in der Hand des
»amerikanischen Monopolkapitalismus«, und unverändert trat im sowjetisch
besetzten Teil der Stadt der immer noch alle vier Sektoren repräsentierende
Magistrat von Groß-Berlin zusammen. An zu bewältigenden Aufgaben und Problemen
herrschte weiterhin kein Mangel. Das Gerangel um gangbare Lösungen spiegelte
indes deutlich die politischen Visionen der im Magistrat vertretenen Parteien
wider, was eine effektive Arbeit oftmals unmöglich machte. Erschwerend kam
hinzu, dass ein Veto von einem der vier alliierten Stadtkommandanten jeden
Magistratsbeschluss kippen konnte, wie zum Beispiel die erneute Weigerung des
sowjetischen Kommandanten, Ernst Reuters Wahl zum Oberbürgermeister Berlins
anzuerkennen. Benno hatte für alles nur einen Kommentar: »Ick wunder mir
übahoopt nich, dass der Majistrat nich vernünftich zu Potte kommt, Karlchen.
Solange die SED imma brav nach Väterchen Stalins Pfeife tanzt, jibt’s
jarantiert ooch in Zukunft noch reichlich Zoff. Det kannste schriftlich von mir
harn: Bei Majistratens wirtet noch hoch herjehen! Eenes is aber sicher, meenen
Jeburtstag versauen die mir jedenfalls nich, da kann kommen, wat will.«
    Am 8. November 1947, dem Tag, an dem die
Berliner Stadtverordnetenversammlung dem SED-Mitglied und Polizeipräsidenten
Paul Markgraf das Misstrauen aussprach – eine Entscheidung, gegen die der
sowjetische Stadtkommandant selbstverständlich augenblicklich sein Veto
einlegte –, öffnete das Oriental nur für geladene Gäste. Karl, Vera,
Edith Jeschke und Sergeant Burns waren unter den ersten Gratulanten.
    »Imma rinspaziert, meene Lieben! Heute
wird jefeiert, det die Wände wackeln!«
    So weit kam es zwar nicht, dennoch konnte
sich wohl niemand über den Abend beschweren. Lilo hatte ein Buffet aufgebaut,
das allen Geburtstagsgästen, die nicht so betucht wie Brandermann oder Goldelse
waren, den Atem raubte. Elektro-Klaus’ Geliebte, die soeben von Benno begrüßt
wurde, machte ihrem Spitznamen alle Ehre. Sie hatte sich herausgeputzt wie ein
wandelnder Juwelierladen.
    »Wo is denn deene bessere Hälfte
abjeblieben?«, fragte Benno.
    »Der muss leider noch etwas Dringendes
erledigen, aber später kommt er natürlich auch.« Elisabeth Böttcher warf kokett
den Kopf zurück und ließ ihr Halsgeschmeide aufblitzen.
    Benno grinste. »Da hatter meen vollstet
Verständnis, Arbeit jeht eben vor Verjnüjen.«
    »Guck mal, Karlchen«, flüsterte Vera beim
Anblick einer Kiste Kieler Sprotten. »Ich habe fast vergessen, dass es so etwas
noch gibt!«
    »And what is this, darling?«, hörte
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