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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I.
    Er wachte auf, weil ihm die Sonne ins Gesicht schien.
    Igor Fillipowitsch Putkin empfand das als unangenehm und merkwürdig, es war eine gemeine heiße Sonne, die ihn voll traf, und er konnte sich in der Erinnerung, die jetzt langsam wieder einsetzte, nicht erklären, wieso er mitten in diese blanke Hitze geraten war.
    Putkin wollte die Augen aufreißen, aber irgendwie gelang das nicht. Die Umwelt blieb dunkel, er kämpfte gegen die Schwere seiner Lider wie gegen zwei Zentnersäcke, die man wegdrücken will, seine Zähne begannen zu knirschen, und ein Zittern durchlief seinen Körper. Was ist das? dachte er und blieb starr liegen. Um mich ist es hell, die verdammte heiße Sonne brennt mir ins Gesicht, aber die Welt ist dunkel für mich. Natürlich muß alles hell sein, denn hat man schon eine Sonne gesehen, die im Dunkeln scheint? Großer Gott, meine Augen! Ich habe keine Augen mehr! Plötzlich habe ich keine Augen mehr! So etwas gibt es doch nicht … man legt sich hin, macht ein Nickerchen, und wenn man aufwacht, schwupp, sind die Augen weg! Großer Gott.
    Putkin rührte sich nicht. Die Hitze blieb auf seinem Gesicht, und als er wieder mit den Zähnen knirschte und die Fäuste ballte, kam ein Teil seiner Erinnerung zurück. Er hörte Bäume rauschen, murmelnde Stimmen, Geräusche, als wenn Metall auf Metall schlägt, alles sehr merkwürdige Dinge, nach deren Sinn er krampfhaft suchte.
    Plötzlich, wie ein Stich, der sein Gehirn traf, war die volle Erinnerung wieder da. Putkins Körper zog sich zusammen wie im Krampf und versuchte dann, sich hochzuschnellen. Es gelang sogar; er kam auf die Beine, die Dunkelheit zerriß, die zentnerschweren Lider klappten hoch, er starrte in einen fahlblauen, wolkenlosen, vom Sonnenglanz überzogenen Himmel, und als er das sah, brach aus seiner Brust ein lautes Stöhnen, mehr schon ein dumpfer Schrei, der den Pfropfen löste, der ihm – wie er spürte – mitten im Herz saß.
    Das Flugzeug! Verdammt ja, das Flugzeug! Bevor er zu einem Schläfchen eingenickt war, befand sich Igor Fillipowitsch hoch über der unendlichen, herbstlich flammenden Taiga in der Luft, in einer kleinen, zwanzigsitzigen ›Antonow‹-Maschine, die ihn von den Versuchsbohrfeldern bei Suchana am Olenek nach Irkutsk zur Zentrale des Ölforschungskombinats ›Neue Welt‹ bringen sollte. Da oben – man wäre viertausend Meter hoch, sagte Makar Lukanowitsch, der Pilot, ein vorzüglicher Flieger, früher Hauptmann der Luftwaffe, ein Held des Friedens – also dort oben schwankte die Maschine wie ein Betrunkener, mal links, mal rechts, mal mit der doppelten Propellerschnauze nach unten, und der lange, dürre, geradezu unanständig krank aussehende Professor Morotzkij hatte gesagt: »Genossen, ist das ein Wind hier oben! Man kann das erklären: unten die warme Taiga, oben die kalte Luft, das gibt extreme Strömungen!« Und die herrliche Jekaterina Alexandrowna hatte mit ihrer tiefen Samtstimme gelacht und den Rauch ihrer Papyrossa durch die Nase geatmet. Eine klassische Nase, sage ich euch! Schmal, gerade, genau in der richtigen Größe, und das in einem Gesicht, das einem Mann die Hosen von den Hüften reißt.
    Ja, es war eine gute Stimmung in dem Flugzeug. Nur er, Putkin, war müde, hatte sich zurückgelehnt, bezwang mit Mühe den Abgang eines bohrenden Windes, weil neben ihm die zierliche Lehrerin Nadeshna Iwanowna saß, und war eingeschlafen. Das war alles, woran er sich erinnerte.
    Und plötzlich liegt man auf der Erde, die Knochen schmerzen einem von der Hirnschale bis zum Zehennagel, man war einen Moment blind, hat einen Kloß statt eines Herzens in der Brust und tappt auf dem weichen Waldboden herum wie ein schlaftrunkener Bär beim ersten Frühlingsahnen.
    Man denke nicht, Igor Fillipowitsch Putkin wäre ein dummer Mensch, und in seinem Gehirn seien die Windungen anders herum gelegt. Im Gegenteil: Er war ein auffällig großer, geradezu gewaltiger Mann mit ausgeprägten Muskeln, die er gern im Strandbad nach der Art der Athleten rollen und kugeln ließ, um den Mädchen zu zeigen, was greifbare Männlichkeit ist.
    Er hatte ein kluges Köpfchen, anerkannt von der Akademie der Ingenieure, gelobt von seinen Vorgesetzten – ein Mensch mit Zukunft, vor allem hier in Sibirien, wo man nur in den Boden zu greifen brauchte, um zu verstehen, was der Spruch bedeutet: Das Glück liegt in deiner Hand. Er war ein Fachmann auf seinem Gebiet, der Bohrtechnik, und zweimal hatte er brüllend vor Stolz in dem stinkenden,
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