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TS 68: Die Stadt im Meer

TS 68: Die Stadt im Meer

Titel: TS 68: Die Stadt im Meer
Autoren: Wilson Tucker
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ERSTER TEIL
     
1.
     
    Er kam von den flachen, blauen Hügeln im Westen oder vielleicht auch aus der weiten, unerforschten Ebene, die dahinter lag und immer noch ein ungelöstes Rätsel war.
    Groß, schlank und gerade gewachsen bot er mit seinem außergewöhnlich sonnengebräunten Körper einen scharfen Kontrast zu den Eingeborenen der Küstensiedlungen. Die Wache im Schilderhaus bemerkte ihn nicht, und so wanderte er ungestört durch die Stadt. Seine Größe – er maß einen vollen Fuß mehr als der größte der Eingeborenen – und seine braune Haut kennzeichneten ihn deutlich als Fremden, und er zog aller Blicke auf sich, aber mit der ihnen eigenen Ängstlichkeit mieden sie ihn.
    Er war barhäuptig, sein Oberkörper unbekleidet, und er trug weder Schuhe noch andere Kleidungsstücke bis auf die knielange Hose. Auch das unterschied ihn von den Einwohnern der Stadt und den Angehörigen der Stämme entlang der Küste, ob sie nun in den Städten unter den Augen der Soldaten oder draußen im offenen Land lebten.
    Der Fremde wanderte durch die Straßen und beobachtete die Menschen mit deutlichem Interesse, starrte ihre Feuer an und die paar Werkzeuge, die sie besaßen, und schien von ihrer Lebensweise und den verschiedenen Tätigkeiten, die sie verrichteten, fasziniert. Er betrachtete verwundert ihre blasse, weiße Haut, bemerkte ihren gleichförmig kleinen Wuchs und machte hier und da halt, um die lebhaft bunte Kleidung zu untersuchen, die von beiden Geschlechtern getragen wurde – und die die Eingeborenen von Kopf bis Fuß bedeckte.
    Er war ein Außenseiter, das merkten sie auf den ersten Blick und hielten verstohlen nach den Soldaten Ausschau. Der Fremde war zu groß – nicht einer unter ihnen war annähernd so groß – ja, er war sogar ebenso groß wie die Soldaten! Seine Haut war zu dunkel, zu gebräunt. Kein Mensch an der ganzen langen Küste besaß eine solche Haut.
    Kleidung trug er fast überhaupt nicht. Sogar die Männer aus den Bergen, die manchmal in die Siedlung kamen, um sich Feuer zu holen, trugen mehr auf dem Leib. Es war einfach unanständig. Und doch, an ihm schien es nicht unanständig. Bei diesem Fremden schien das unzureichende Kleidungsstück genug zu sein. Aber die Soldaten würden ihn bald erwischen. Man konnte nicht so in der Stadt herumlaufen.
    Der Fremde ließ sich Zeit.
    Er blieb auf dem Markt stehen und befühlte die ausgelegten Früchte, studierte mit Augen und Fingern die reifen, gelben Bananen aus dem tiefen Süden, einige aufgeschichtete, verschrumpelte Grapefruits und winzige Orangen. Er nahm eine Banane auf und blickte den Standeigentümer fragend an.
    Er besaß keinerlei Zahlungsmittel, das war klar. Der Verkäufer wußte nicht recht, was er tun sollte. Nach einem hastigen Blick nach links und rechts, ob auch keine Soldaten in der Nähe waren, winkte er dem Fremden, weiterzugehen. Lächelnd nahm der Mann die Banane und ging weiter.
    Er verbrachte fast zwei Stunden damit, die Ansiedlung zu durchstreifen, von den kleinen Farmen im Norden, wo er die Stadt betreten hatte, über die Werften am Wasser, bis zu den Farmen im Süden. Und dann wartete er. Er tat nichts, ging nirgendwo hin, sprach kein Wort. Er wartete einfach darauf, daß etwas geschah.
    Er brauchte nicht lange zu warten.
    Eine Sicherheitsstreife wurde auf ihn aufmerksam.

 
2.
     
    Doktor Barra eilte quer über den Exerzierplatz, die Kompaniestraße entlang bis zum Büro des Kommandanten. Der übliche Abendregen trommelte ihr auf Kopf und Schultern, floß in Kaskaden an dem eng um den Körper gezogenen Regenmantel herunter und tröpfelte in ihre hohen Stiefel. Der Exerzierplatz hatte sich in den allnächtlichen Schlammsee verwandelt, und nur eine dünne Schicht von Bruchsteinen gemahnte noch an seine eigentliche Bestimmung.
    Barra verfluchte den Regen, ohne wirklich ärgerlich zu sein. Er kam regelmäßig, abends wie morgens. Er gehörte zu diesem seltsamen Land, und sie hatte sich seit langem an den ewig mit grauen Wolken bedeckten Himmel gewöhnt. Es geschah selten, daß man die Sonne in einem Monat zweimal sah.
    In der Kompaniestraße hatte sie wieder festeren Boden unter den Füßen und sah, daß im Büro des Kommandanten Licht brannte. Vor der Tür stand eine Schildwache.
    „Barra“, gab sich die Ärztin der Schildwache zu erkennen.
    Die Wache salutierte und öffnete die Tür. Barra trat ein und schloß die Tür hinter sich.
    „Schöner Abend“, sagte sie.
    Der Korporal sah auf und grinste.
    Captain Zee
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