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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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A lexander Sowtschick stand am Tor. Er blickte seiner Frau nach. Soeben war Marianne in ihrem Golf die Pappelallee hinuntergefahren und war, von Dorfhunden verfolgt, im Staub der Straße verschwunden.

    Den ganzen Vormittag über war im Haus herumgerannt worden. Türenschlagen, treppauf, treppab, dies noch vergessen, das. Nun war alles ausgestanden, nun war alles in Fluß: Marianne würde die Autobahn erreichen und mit größer werdender Geschwindigkeit dahinfahren, immer weiter, immer weiter, dem an langen Winterabenden erarbeiteten Urlaubsziel entgegen: Isle de Camps an der Atlantikküste, weiß Gott weit weg! Das Meer, nicht wahr? Die schäumenden Wogen und im nahen Städtchen ein Lokal, in dem es ungewöhnliche Leckereien zu essen geben würde.

    In früheren Jahren waren die Eheleute gern gemeinsam gefahren. Italien, Spanien, Schottland. «Morgens eine, mittags zwei und abends drei Kirchen», wie sie scherzten. Sogar eine Kreuzfahrt hatten sie unternommen, in die Karibik, mit Bingo und Captain’s Dinner – doch ohne rechten Gewinn. Sowtschick war kein Urlaubsmensch. Unter dem folkloristischen Getrommel von Eingeborenen, im Menschengewimmel eines Bazars oder in der abgeschiedenen Ruhe eines kühlen Museums hatte er seiner Frau nörgelnd die schönsten Tage verdorben, alle schönsten Tage. Im letzten Jahr: die Tour durch Burgund, romanische Kirchen … Abgesehen davon, daß es die ganze Zeit geregnet hatte, waren es die Kirchen selbst gewesen, die Sowtschicks Abscheu erregten: alle Skulpturen geköpft, Bischöfen und Königen die Augen ausgekratzt: das Werk rachsüchtiger Revolutionäre; im Reiseführer hatte davon nichts gestanden. Sowtschick war laut geworden, im Hotelzimmer, nachts, und Marianne hatte geweint. Am nächsten Tag war man sich einig gewesen: Nie wieder Urlaub gemeinsam. Und so hatte sich Marianne denn für dieses Jahr die französische Atlantikküste ausgesucht. Man würde zur Ruhe kommen, Marianne in der Ferne und Alexander zu Hause.

    Sowtschick würde tun und lassen können, was ihm beliebte: Morgens vor Sonnenaufgang tief atmend auf die Terrasse treten oder erst zu Mittag aufstehen, vom Schnabelwetzen der Vögel an Zeit und Ewigkeit erinnert. Nächtelang im Hause auf und ab gehen, ohne gefragt zu werden: «Hast du was?» Nach Hamburg fahren, ohne etwas mitbringen zu müssen, zu fasten oder zu schwelgen, ohne Tabletten hingeschoben zu bekommen.

    Während Marianne ihren Körper der Sonne preisgab, irgendwo im Westen, fern im fernen Frankreich, käme er in der Stille seines Hauses ganz zur Ruhe, unrasiert und – ja, warum denn nicht – auch einmal ungewaschen.

    Alexander Sowtschick schloß das Tor. Das weiße Gartentor – auf den Pfosten große Kugeln – war ein herrschaftliches Gartentor, und das Haus, das seine Großzügigkeit nicht so ohne weiteres preisgab den Blicken der Vorübergehenden (wie es in der Architekturzeitschrift «Form» gestanden hatte), lag hinter den vom Wind bewegten Bäumen breit und behaglich da.

    Sowtschick sah noch einmal die Dorfstraße hinunter, in der sich der Staub bereits verzog – die Hunde hatten längst die Verfolgung aufgegeben –, er hob eine zerknüllte Bierdose auf, die irgend jemand auf sein Grundstück geworfen hatte, und schleuderte sie auf die Straße. Dann nahm er die Post aus dem Kasten und ging, die Briefe wie Spielkarten sortierend, über den Kiesweg dem Hause zu. Seine drei Hunde gaben ihre für den Abschied dosierte Lebhaftigkeit auf und liefen voraus: zwei Corgies mit langen Ohren und kurzen Beinen, die jedermann für Promenadenmischungen hielt, und ein Collie, schon ein wenig angejahrt, nichtsdestoweniger freundlich lächelnd.

    Sowtschick und seine Hunde traten in das Haus. Sie durchquerten die dunkle Halle und verschwanden in der Küche, wo Sowtschick den Kühlschrank öffnete, den er «Eisschrank» nannte. Während die Hunde sich setzten, entnahm Sowtschick ihm einen Stoß Salamischeiben und fütterte abwechselnd sich damit und die Tiere, wobei er streng darauf achtete, daß die Corgies «Männchen» machten, so wie er es ihnen beigebracht hatte. «Männchen» war schließlich das mindeste, was man verlangen konnte. Dem Collie war dies erlassen. Abgesehen davon, daß es fraglich war, ob die Anatomie des Tieres diese Position überhaupt zuließ. Eine solche Demutshaltung von einem älteren Herrn zu verlangen, wäre Sowtschick unziemlich erschienen. Es gibt Grenzen, die der Takt vorschreibt.

    Im Kühlschrank standen, auf
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