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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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will!» Manchmal ertappte er sich, daß er gröbste Ausdrücke in die Gegend schrie, doch wenn er merkte, wen er damit meinte, mäßigte er sich. Die liebe Marianne, ach, er sah es wohl, hatte in der Speisekammer Vorsorge getroffen, Kaffee war genügend da, magenschonender Kaffee, eine Packung neben der anderen. Filterpapier und auch Kondensmilch.

Laß es dir schmecken, Liebster!

    Sowtschick stellte den Kaffee auf ein Tablett und ging hinüber. Am Ende des Bücherganges, in dem, wie in den anderen Zimmern und Fluren seines weitläufigen Hauses, verschieden große Glöckchen von der Decke hingen, die ihm meldeten, daß jemand zu ihm wollte, stand ein kleiner runder Tisch mit grünem Loriot-Sofa. Hier, unter einem erst kürzlich erworbenen, sehr großen, in Gold gerahmten Schafbock, hielt Sowtschick gern seine Kaffeestunde, die ihm zur Vorbereitung seines dichterischen Aderlasses diente.

    Die Hunde legten sich auf den Teppich, und Sowtschick öffnete das «Grammophon», wie er noch immer sagte. Er legte das Sextett von Dvořák auf. Dann zündete er eine Kerze an, obwohl es doch heller, heißer Juli war, setzte sich auf das Sofa und ließ den Blick über das Kaffeegeschirr hinweg an all seinen Büchern entlangschweifen.

    Was die Musik betraf, die sehr leise aus den übergroßen Boxen kam: Es hatte für ihn lange die Ansicht gegolten: Je weniger Musiker, desto ungenießbarer ist das, was sie hervorbringen. Irgendwann hatte er aber gemerkt, daß es lächerlich ist, bei der «Neunten» Waffelgebäck in Milchkaffee zu tunken, und da hatte er es dann mit Kammermusik versucht, und er hatte an ihr Geschmack gefunden. «Der Tod und das Mädchen» oder den «Heiligen Dankgesang eines Genesenden»; oder – warum eigentlich nicht? – auch einmal Dvořák.

    Das Kaffeegeschirr samt Aschenbecher und Leuchter stammte aus einer berühmten Porzellanmanufaktur. Sowtschick erzählte seinen Besuchern gern, daß er es von dem Fabrikanten persönlich geschenkt bekommen hätte, was leider nicht stimmte. Bei einer Stehparty hatte er den Herrn kennengelernt, und er hatte ihn so verstanden, daß er, der aufgeschlossene Fabrikant, ihm, dem liberalen Schriftsteller, bei einer sofortigen Porzellanbestellung jeden Wunsch erfüllen werde. Dies könnte den Anfang einer Allianz signalisieren zwischen Künstler und Unternehmern, die, Gott sei’s geklagt, immer noch Fachwerkhäuser abrissen, um Platz zu schaffen für seelenlose Fabrikanlagen. Siebenhundertachtzig Mark hatte Sowtschick dann letzten Endes doch überweisen müssen, und das hatte ihm weh getan. Lange hatte er mit einem Gefühl der Bitterkeit seinen Nachmittagskaffee getrunken, und Marianne, der er unvorsichtigerweise davon erzählt hatte, war wie wild auf die Tassen losgegangen, deren Dekor im übrigen, wie auf der Verpackung zu lesen stand, nicht spülmaschinenfest war.

    Sowtschick trank einen Schluck und lauschte dem freundlichen ersten Satz des Sextetts, der ihn ein wenig an «Der Mai ist gekommen» erinnerte. Dem Tschechen Dvořák war hier etwas sehr Deutsches gelungen, Ludwig-Richter-Ähnliches, so kam es Sowtschick jedenfalls vor. Diese Musik rief ein Bild junger Menschen in ihm auf, die blumenbekränzt durch Wald und Feld schweiften …

    Sowtschick nahm die Zeitung auf. Über die immer gleiche Litanei der «Kreuzthaler Nachrichten» ärgerte er sich jeden Tag: Eindämmung des Asylantenstroms und Forderungen nach dem Gegenteil, Verdammung der Atomkraftwerke und deren Anpreisung, Anwachsen der Arbeitslosenziffer, Luftverschmutzung, Frauenparität, Waldbrand an der Mittelmeerküste.

    Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt …

    So ging das Tag für Tag, und Sowtschick ärgerte sich darüber, weil er keine Möglichkeit sah, auch nur den winzigsten Teil dieser Mißstände abzustellen.

    Im Lokalteil der «Kreuzthaler Nachrichten» stand an diesem Tag allerdings eine Meldung, die ihn aufmerken ließ. Zum edlen Klang von Violinen las er, daß der Zahnarzt Ohltrop im Nachbarort, mit dessen Tochter seine Kinder zur Schule gegangen waren, nachts in seinen eigenen vier Wänden von Einbrechern überfallen und mit einem Obstmesser erstochen worden war. Sowtschick schüttelte den Kopf. Überfallen? Nachts? Dann ging das also jetzt hier los? Knirschende Schritte auf dem Kiesweg, ein klirrendes Fenster … Nicht Harburg oder Oberhausen als Schauplatz von Bluttaten, sondern die friedliche Sassenholzer Börde?

    Sowtschick ließ die Zeitung
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