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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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Freund Nummer eins. Es war so wohltuend, daß von dieser Seite im wesentlichen nur Bestätigendes kam! Kritik natürlich auch, aber mehr auf Randgebiete bezogen, in denen Frontbegradigungen riskiert werden konnten … Vielleicht gehörte von Dornhagen nicht gerade zu jenen Riesen, denen Sowtschick über öde Zwischenräume hinweg was zurufen konnte, er war jedoch ein angenehmer Gesellschafter, der jedenfalls nicht zu dem lärmenden Gezwerge zu rechnen war, das sich überall breitmachte. Mit dem gebildeten von Dornhagen konnte man selbst entlegenste Gebiete durchplaudern. Und wenn das Gespräch doch einmal stockte, dann brauchte man nur zu sagen: «Und Napoleon?», dann war das Schifflein wieder flott: Von Dornhagen hatte nicht weniger als fünf Bücher über Napoleon geschrieben, und er würde weitere folgen lassen.

    Engelbert von Dornhagen könnte ein würdiger und witziger Biograph sein, das hatte Sowtschick seiner Frau zu verstehen gegeben («… wenn ich einmal nicht mehr bin … »), bedenklich war lediglich die Gleichaltrigkeit. Vielleicht stürbe jener ja eher als er selbst?

    L eider kam es auf der DvořákPlatte nun zu hektischen Allegri. Offensichtlich verfolgte der Komponist damit die Absicht, die Idylle zu brechen: So ist es ja nun nicht, daß die Welt ein Zuckerschlecken ist …

    «Muß das sein?» fragte Sowtschick laut. Er stellte die Sache leiser. Er konnte zu dieser Stunde keine Aufregung vertragen, er näherte sich nämlich dem kritischen Moment: Ohltrop gleichviel, Asylanten und Atomkraft wie auch immer – das Aufstehen und Hinübergehen an den Schreibtisch war fällig, auf dem der Winterroman lag. Alle Sinne hatte er auf die Arbeit zu richten, die geschafft werden mußte, wenn er seine Existenz nicht gefährden wollte.

    Als er eben aufgestanden war, um hinüberzugehen, rannten die Hunde bellend nach vorn: Ein Wagen stand vor Sowtschicks Einfahrt, ein Opel-Ford mit laufendem Motor. Ein südländischer Mann saß darin, der aus dem Fenster heraus das Angebot zu machen hatte, Messer zu schleifen für fünf Pfennig das Zentimeter.

    Sowtschick ließ den Wagen auf den Hof und holte aus der Küche alle möglichen Messer, kleinere mit Holzgriff und sehr große, spitze. Eine junge Frau stieg aus dem Wagen, öffnete den Kofferraum, in dem der Schleifstein stand, der vom Automotor angetrieben wurde, und begann die Klingen zu schärfen. Sie trug eine schmuddelige weiße Cordhose und hatte rostrotes Haar.

    Während Sowtschick sich nachdenklich die Frau anguckte, erkundigte sich der Mann, unrasiert und nach Schweiß und Alkohol riechend, ob hier noch jemand wohne?

    «Nein», sagte Sowtschick, «ich bewohne dieses Haus allein, im Augenblick sogar ganz allein.» Sein Sohn sei Arzt in Stuttgart, die Tochter Graphikerin im Westfälischen. Und die Frau sei verreist, sonnenhungrig, «wie die Frauen so sind».

    Oh, oh! sagte der Mann, das Haus sei aber ziemlich groß! Und er wiegte den Kopf, als ob er sagen wollte: Wenn das man gutgeht!

    Es sei ihm noch nie zu groß vorgekommen, antwortete Sowtschick, und daß es ihm gut gefalle, mal ganz allein zu sein, nächtelang auf und ab zu gehen und die Stunden wie die Perlen eines Rosenkranzes durch die Hand gleiten zu lassen … Er sei nämlich Schriftsteller, und als Schriftsteller brauche man Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Er sei so sensibel, daß schon die bloße Anwesenheit eines zweiten Gehirns seine Gedankengänge magnetisch durcheinanderbringe. Dies redete so aus ihm heraus und in Richtung auf die Scherenschleiferin.

    Der Mann zeigte sich interessiert. «Schriftsteller?» fragte er, die Hose hochziehend. Das sei wohl ein schwieriges Geschäft? Könne man davon leben?

    «Wie Sie sehen», sagte Sowtschick und wies auf das Haus, das er, wie gesagt, allein bewohne, und zwar ganz allein. Merkwürdigerweise fügte er noch hinzu, daß es zum Garten hin noch einen zweiten Ausgang gebe, daß er also hinten hinausspringen könnte, wie das tapfere Schneiderlein, wenn sich von vorn jemand nähere, zum Beispiel der Gerichtsvollzieher! Denn so sei das ja nun nicht, daß er im Geld schwimme. Während er das so vor sich hin redete, saugte er das Bild der Frau in sich ein, die da, den kleinen Finger abgespreizt, seinen Klingen Funken abzwang.

    Der Mann nahm ihr das Messer weg, das sie da grade schliff, sagte: «So doch nicht!» und zeigte ihr, daß man das anders machen muß. Dabei redete er zu Sowtschick hin von seinen hohen und höchsten Kunden, die auch alle große und
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